Iraks Opposition unter Einigungszwang

■ Dreitägiger Kongreß in Beirut eröffnet/ Kurden, Fundamentalisten und Kommunisten an einem Tisch/ Aufständische melden weitere Erfolge/ Angeblich zwei Drittel des Landes unter Kontrolle

Beirut/Berlin (afp/taz) — Die Koordination des Aufstands gegen Saddam Hussein und die politische Neuordnung des Iraks nach seinem Sturz, sind die beiden wichtigsten Themen einer dreitägigen irakischen Oppositionskonferenz in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen versammelten sich gestern 200 Oppositionspolitiker von 23 verschiedenen Gruppen sowie Vertreter benachbarter Staaten im Bristol-Hotel.

Auf dem Podium ergab sich eine bemerkenswerte Konstellation, die zugleich ein Licht darauf wirft, wie sehr die zersplitterte irakische Opposition jetzt im gemeinsamen Kampf gegen Saddam Hussein zum Zusammengehen gezwungen ist: Neben dem Chef der Fundamentalistengruppe Organisation der Islamischen Aktion, Mohammed Taghi Mudarressi, saßen der Führer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), Jalal Talabani, und der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Asis Mohammed. Nicht erschienen war dagegen der Führer des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak (SAIRI), Ayatollah Mohammed Bakr al Hakim.

Von den 200 Delegierten entfielen achtzig auf islamische Oppositionsgruppen, vierzig auf kurdische, vierzig auf nationalistische und weitere vierzig auf prowestliche Bewegungen. Aus dem Ausland waren unter anderen eine iranische Delegation und Vertreter der syrischen Baath- Partei angereist.

Mudaressi rief in seiner Rede das Ausland dazu auf, die Vertreter der wahren Opposition des Iraks anzuerkennen. Angeblich ist Saudi-Arabien dabei, mit ihm gewogenen Exil- Irakern eine eigene Alternative zu Saddam Hussein aufzubauen. Angesichts der in den Nachbarstaaten und im Westen verbreiteten Befürchtungen über einen Zerfall des Iraks oder einer islamischen Revolution im Zweistromland hoben mehrere Oppositionsvertreter am Wochenende hervor, daß die Integrität des Landes gewahrt werden und in einem künftigen pluralistischen System keine Gruppierung die anderen dominieren solle.

Am Vortag der Konferenz betonte auch der Sprecher des SAIRI, Scheikh Abu Majthgam Saghir, daß weder eine Teilung des Iraks noch die Durchsetzung einer islamisch- fundamentalistischen Herrschaft angestrebt werde. „Über den schiitischen Südirak hat das Saddam-Regime jede Kontrolle verloren“, sagte Saghir. „Die von Christen bewohnten Regionen streiken und haben den zivilen Ungehorsam ausgerufen. Selbst in der Geburtsstadt Saddam Husseins finden Straßenschlachten zwischen Regierungstruppen und Anhängern des im vorletzten Jahr ermordeten Verteidigungsministers und Cousins Saddam Husseins statt. Die Stadt Imra ist gefallen, ohne daß nur ein einziger Schuß fiel. Die Soldaten haben sich ergeben oder sind zu den Aufständischen übergelaufen. Schon diese Tatsachen belegen den Charakter des Volksaufstandes im Irak. Im Norden leben Kurden, im Westen (arabische, d. Red.) Sunniten, im Süden Schiiten. Es ist keine schiitische Revolution. Es ist ein Aufstand des ganzen Volkes“, betonte Saghir.

Die Konferenz fand vor dem Hintergrund anhaltender Kämpfe im Irak und weiterer Erfolgsmeldungen der Oppositionsgruppen statt. Scheikh Saghir gab an, die Aufständischen hätten bereits 29 Städte und Provinzen — drei Viertel des Landes — unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte Kerbala und Nadjaf sollen sich zu Zentren der Kämpfe entwickelt haben. Auch mehrere Viertel Bagdads seien umkämpft. In der Hauptstadt habe es auch zusätzlich Unruhen gegeben, als Hunderte von gefallenen Soldaten ihren Familien zur Beisetzung übergeben worden seien.

Da es so gut wie keine Berichte unabhängiger Augenzeugen gibt, ist man bei der Protestbewegung im Irak auf die Angaben der oppositionellen Organisationen angewiesen. Verschiedene Gruppen unterschiedlicher politischer Couleur meldeten übereinstimmend, daß die kurdischen Einheiten im Norden weiter vorrücken und dicht vor Kirkuk stehen, dem Zentrum der Ölindustrie in dieser Region. Ein Sprecher der PUK sagte in Paris, die kurdischen Partisanen kontrollierten inzwischen die Provinzen Suleimaniyah und Arbil. Auch von zahlreichen Überläufern in Kurdistan und im Süden des Landes war die Rede. Aus Kreisen der US-Aufklärung am Golf hieß es unterdessen, einige US-Soldaten in dem besetzten Teil des Iraks hätten irakischen Oppositionellen Waffen zukommen lassen. B. S.