Stasi-Spitzenspione angeklagt

Berlin (taz) — Die Bundesanwaltschaft hat jetzt erstmals zwei hochrangige hauptamtliche Mitarbeiter des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) wegen Landesverrat vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht in München angeklagt. Der 60jährige Generalmajor Harry Schütt und der 52jährige MfS-Leutnant Günter Rudolf B. sollen die Führungsoffiziere der Bundesbürger Alfred und Ludwig S. gewesen sein, die seit 1972 in großem Umfang Verschlußsachen des Bundesnachrichtendienstes (BND) an das MfS in Ostberlin geliefert haben. Wie die Bundesanwaltschaft gestern mitteilte, leitete Schütt von 1965 bis 1977 die Abteilung IV der „Hauptverwaltung Aufklärung“, die für die „militärstrategische Aufklärung“ der Bundesrepublik zuständig war. Bis zur Auflösung des MfS zu Beginn 1990 war er anschließend als Leiter der Abteilung IX mit der Ausspähung der „gegnerischen Dienste“, das heißt mit dem Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst befaßt. Die Verpflichtung der Gebrüder S. soll Schütt 1972 in Ostberlin persönlich vorgenommen haben. Mindestens zehnmal hat sich Schütt nach Angaben der Bundesanwaltschaft mit den Gebrüdern S. getroffen, bei einigen Kontakten soll auch der Chef der HVA, Markus Wolf, zugegen gewesen sein. Dem Mitbeschuldigten Günter Rudolf B. wird vorgeworfen, als zuständiger Kontaktmann für das Agentenpärchen gedient zu haben.

Mit der Anklage der beiden MfS- Mitarbeiter kommen erstmals die Konsequenzen aus dem Scheitern der Amnestiebemühungen für MfS- Agenten zum Tragen. Ursprünglich war in Bonn geplant, Straftaten, die aus der gegenseitigen deutsch-deutschen Spionagetätigkeit resultieren, straffrei ausgehen zu lassen. Das Vorhaben war allerdings im Vorfeld der letzten Bundestagswahl insbesondere am Widerstand der bayerischen CSU gecheitert. Auch die wiederholten Anläufe — zuletzt hat Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) eine Amnestie gefordert — blieben innerhalb der Koalitionsparteien erfolglos. Wolfgang Gast