Gezielte Untätigkeit in Brindisi

■ Die italienische Regierung hat ihre eigene Art, mit den Flüchtlingen aus dem immer noch diktatorisch regierten Albanien umzugehen. Andreottis Mannen tun nicht nur nichts, um zu helfen sie tun einiges,...

Gezielte Untätigkeit in Brindisi Die italienische Regierung hat ihre eigene Art, mit den Flüchtlingen aus dem immer noch diktatorisch regierten Albanien umzugehen. Andreottis Mannen tun nicht nur nichts, um zu helfen — sie tun einiges, um die Lage der Ankommenden noch zu verschlimmern. Polit-Flüchtlinge kämen da ohnehin nicht, behauptet Rom.

Für Italiens meistgesehenen Polit-Show-Master Giuliano Ferrara ist es „schlicht eine Schande“. Der Chef der aus der KPI hervorgegangenen Partito democratico della sinistra, Achille Occhetto, ebenso wie der Sekretär des neofaschistischen Movimento sociale italiano, Pino Rauti, sprechen vom „glatten Versagen der Regierung“; die Caritas sieht eine „neue Barbarei“ und die Bürgerinitiative Una Citta per l'uomo „Unmenschlichkeiten, ausgebrütet ausgerechnet von jenen, die wir für unsere Vertreter halten“: Nahezu einmütig ist die Verurteilung, mit der die italienische Öffentlichkeit die Haltung ihrer Regierung zu den albanischen Flüchtlingen begleitet. Doch die Landesregenten sehen „überhaupt keinen Grund zum Tadel uns gegenüber“, wie Ministerpräsident Giulio Andreotti, beim Small talk im Fernsehen erklärte — schließlich habe doch er allen voran seine Bereitschaft bekanntgegeben, eine albanische Familie bei sich aufzunehmen: „Wenn alle Italiener dies tun, ist die Sache im Handumdrehen erledigt.“ Ob er die Albaner auch aufnimmt, wenn andere italienische Familien, womöglich mangels entsprechend großer Wohnungen, nicht mitziehen, ließ er nicht erkennen.

Andreotti hob jedenfalls zum wiederholten Mal genau das hervor, was aus dem Verhalten seiner Behörden sowieso schon klar wird: Seine Regierung sieht sich nicht im mindesten gefordert, das Problem der mittlerweile fast 20.000 „profughi“ aus Albanien zu lösen.

Seine Einstellung hat freilich nur vordergründig etwas mit der Frage von privater oder öffentlicher Hilfsinitiative zu tun. Tatsächlich legen die italienischen Amtsträger die Hände nämlich keineswegs bloß in den Schoß, um nichts zu tun — vielmehr setzen sie alles daran, um die Lage zu verschärfen. So behaupten die Präfekten und auch der zum Sonderkommissar ernannte Zivilschutzminister Latanzio, daß „die Aufnahme einer so großen Zahl von Flüchtlingen einfach die Möglichkeiten auch eines gutgerüsteten Landes übersteigt“ — als ob nicht zum Beispiel die frühere BRD, genauso groß wie Italien, aber auch das viel kleinere Österreich nicht oft an einem einzigen Tag mehr Grenzübergänger betreut und ausreichend versorgt hätten als Italien in den vergangenen 14 Tagen zusammen.

Unklar auch, wieso die wenigen von der Regierung bereitgestellten Ärzte und Pfleger sich den Albanern mit Mundschutz und Handschuhen nähern müssen — bisher gibt es nicht die geringsten Anzeichen von Seuchen. Lediglich der Schnupfen geht um, und auch das ist wiederum eine Folge italienischer, weniger bakterieller Aktivitäten: Mehr als zwei Drittel der Ankömmlinge mußten tagelang im Freien kampieren, ohne Decken, eingemacht allenfalls in Plastiktücher, ihrerseits eine ideale Brutstätte für Gesundheitsschädlinge aller Art.

Obwohl die Medien — wie 'la Repubblica‘ — die ganze Affäre als „Verrat an den Ärmsten der Armen“ betiteln, scheinen sich die Regierungspolitiker fast wohlzufühlen angesichts der schreienden Fernsehbilder mit all den frierenden, zusammengepferchten, oft auch hungrig dreinschauenden Menschen — und angesichts der Aufmerksamkeit, die all das in der Welt erregt. Mitarbeiter des Sonderkommissars Latanzio empfehlen den Reportern, „ruhig mal zu schreiben, daß es auch hier — und nicht nur in Bagdad — Notstand gibt und daß sich die internationale Gemeinschaft dessen annehmen muß“. Womit im Klartext wohl vor allem gemeint ist, daß die anderen Länder kräftig Geld herüberschieben sollen, und daß man wild entschlossen ist, den anderen das schlechte Gewissen aufzudrängen, das man selbst nicht hat.

Indiz für diese Haltung ist etwa die Bereitschaft, fundierte Analysen sofort beiseite zu legen, wenn darin — unbequeme Einsichten enthalten sind. So schrieb etwa der Soziologe Luigi Manconi, „die Migration von Ost nach West und von Süd nach Nord ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern rührt von dem enormen Reichtumsgefälle und der Auspowerung der Dritten Welt und mittlerweile auch der Zweiten Welt her. Das Problem wird folglich nicht im mindesten durch den Bau von Flüchtlingslagern gelöst — wie wichtig das auch im Augenblick für die Unglückswürmer ist, die nun schon da sind —, sondern nur durch massive direkte Hilfe für die Auswanderungsstaaten.“ Da sei der Himmel vor, entsetzte sich ein Regierungsmitglied: Das Geld, wo immer es lockergemacht werden kann, soll gefälligst hierher strömen, wir wissen schon, was wir damit tun. Prompt stellte die EG für die Flüchtlinge an der Adria-Küste eine Million Ecu (über zwei Millionen Mark).

Ein weiteres Indiz: Zunächst gaben sich die Behörden fest entschlossen, „alle ankommenden Schiffe zu beschlagnahmen, um weitere Immigrationsladungen zu verhindern und Expatriierungshaie zu entmutigen“ — doch kaum hatten die zuständigen EG-Gremien erklärt, daß sie statt nach Italien ihr Geld lieber direkt in die Flüchtlingsstaaten geben würden, da ließen die Behörden gut zweitausend Rückkehrwillige wieder gen Albanien schippern. Werner Raith, Rom