■ Die Zärtlichkeit der Wölfe

Auf dem Photo von Kurt Raab, das bei einer Talkshow am 10. 6. 88 aufgenommen wurde, sieht der einstige Antiheld unzähliger Fassbinderproduktionen weniger tragisch aus, als er sich in den Filmen der siebziger Jahre zeigte. Dafür starb der an Aids erkrankte Schauspieler bereits wenige Monate später. Seine Memoiren sind von einem menschlicheren Gesicht geprägt, als es die Befriedigungskanone Kinski derzeit in Bild von sich zu zeichnen sucht. Seine Filme waren es ebenso.

Im Film »Die Zärtlichkeit der Wölfe« verkörperte Raab einen der grausamsten Massenmörder, den Haarmann, der heute noch im Panoptikum zu bestaunen ist. Der böse Haarmann mit dem Hackebeilchen...

Doch der Haarmann auf der Leinwand, wie ihn Raab dargestellt hat, war eine Figur, wie sie als geschundene Kreatur in Erinnerung geblieben ist, als Quasimodo, Frankenstein oder Nosferatu — melancholische Helden, denen die aufrechte Haltung, die tugendhafte, abhanden kam. Viele von ihnen waren als abartig in Kliniken und Gefängnissen umgekommen. Haarmann gehörte dazu.

Er lebt im Deutschland, das mit dem ersten Weltkrieg ein erstes Blutbad über Europa gebracht hat. In Zeiten des Hungers schafft Haarmann Fleischvorräte heran, über die sich seine Nachbarn freuen. Schinken für die Eckkneipe, Wurst für die Nachbarsfrau, immer mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen von Haarmann an das Volk verteilt. Das Fleisch stammt von Menschen, Knaben, denen Haarmann zugeneigt war, deren Liebe er jedoch nicht finden konnte. Nicht etwa, das der sexuelle Reiz ausgeblieben wäre, aber Haarmann kann seine Homosexualität nicht leben, er muß sie ständig verschieben. Freunden erzählt er ab und zu davon, wie es war, als er zum ersten Mal mit einem Mann mitging. »Das ganze Bett hab ich ihm vollgemacht«, memoriert Haarmann einem Freund gegenüber bei einem gemeinsamen Glas Wein.

Der Freund nutzt die Hilflosigkeit des Liebesuchenden aus, betrügt ihn. Haarmann erträgt es. Er hat ja seine Knaben, das weiß jeder in der Straße. Was mit ihnen geschieht, will keiner wissen. Aber Abrechnen wollen am Ende alle mit ihm, als das blutige Geheimnis ans Licht kommt.

Ulli Lommel hat mit diesem Film, den Fassbinder produzierte, eine langsame und sensible Studie eines Menschen vorgelegt, der im Schatten lebt — im Schatten der Gesellschaft von Prostituierten und Betrügern, und in seinem eigenen trügerischen Schatten. Das »Ich kann doch nichts dafür«, das Peter Lorre in »M« zur Verteidigung herausbringt, bleibt Haarmann in der Kehle stecken. Unglück und Verzweiflung sind seine Tugenden, die er akzeptiert wie der Camus'sche Sysiphos.

Kurt Raab hat diese Rolle wie kein anderer mit Leben füllen können, er hat Ähnliches mit Fassbinder erlebt. Fassbinder selbst spielt im Film übrigens den Oberstrizzi und Hehler, der Haarmann den Freund ausspannt. Nicht um der Liebe willen, mehr aus Bosheit und vor allem: aus Prinzip.

Die Zärtlichkeit der Wölfe im Checkpoint um 22.30 Uhr. Harald Fricke (photo: AP)