Weiterhin gespannte Atmosphäre in Belgrad

Die Protestbewegung in der serbischen Hauptstadt erringt erste Erfolge: Führungsgremium des Fernsehens ist zurückgetreten / Doch wurden bisher keine inhaftierten Demonstranten freigelassen / Opposition gegen Kosovoalbaner  ■ Aus Belgrad Roland Hofwiler

Der Verkehr müsse leider weiterhin großräumig umgeleitet werden, erklärte gestern 'Radio Belgrad‘ und bat um Verständnis. Dort harrten auch am dritten Tag die „Hooligans“ und das „Studentenpack“ vor dem legendären Hotel Moskva, dem einstigen Sitz der Komintern, aus, um den Rücktritt der Milosević-Regierung und die Freilassung aller politischer Häftlinge zu erzwingen. Nach der Gegendemonstration vom Montag und den unmißverständlichen Drohungen durch die Regierung ist die Atmosphäre immer noch gespannt. Denn nicht den Demonstranten zuliebe wurde der Verkehr umgeleitet. Die Seitenstraßen sollen frei sein.

In vielen Gassen, die nur für Anlieger zu passieren sind, warten das Kriegsgerät, die Panzer und milchgesichtige Rekruten. 153 Oppositionelle sind mittlerweile allein in Belgrad in Haft genommen, unter ihnen immer noch Vuk Draskovic, der Oppositionsführer, aber eine vollständige Statistik liegt nicht vor, wie die Anwaltskammer zugibt. Doch anderseits gibt es auch Erfolge: unablässig liefern Menschen Nahrungsmittel und Decken für die Demonstranten ab, so daß sie angesichts des Überflusses beginnen, die Geschenke zurückzuweisen.

Und selbst im Belgrader Rundfunk, dem Stein des Anstoßes, weil er nur Regierungspropaganda bringt, war gestern kurz nach halb zehn für eine Überraschung gut Belgrad I: „Meine Brüder, die sind nicht mehr aufzufinden, meine Schwester ist verhaftet, ich muß allein die Kerze anzünden.“ War dies ein erstes Zeichen des Nachgebens durch die politische Führung? Am Nachmittag traten der Direktor und das Führungsgremium des Belgrader Fernsehens zurück.

Es ist die Musik, es sind Lieder und nicht Parolen, mit denen die Teenager und Studenten im Belgrader Zentrum an der Marschall Tito Avenue Freiheit und Demokratie fordern. Immer wieder versucht sich ein Liedermacher mit seiner serbischen Version mit dem Lennon Hit „Give peace a chance“ oder dröhnen die legendären Riblija Corba aus den Lautsprechern: „Wie froh bin ich, ein Depp zu sein“ oder die Zabranjeno Pusenje mit „Scheiß auf die Mafia, ich geb' mein Parteibuch zurück“. Weitere Textzeile: „Mein Alter ist jeden Abend besoffen, er versteht nicht, warum wir keinen Bock verspüren Kommunist zu spielen, warum wir abhauen wollen.“

Aber der Protest der Jugend verebbt allabendlich, wenn die Politstars auf die Bühne kommen und große Reden schwingen. Dann wird geschwafelt, über Serbien, über ein großes Serbien, ein demokratisches Serbien, ein großdemokratischnationales Serbien. Dann kommen Arbeiter und unzufriedene Beamte und es erklingt als Untermalung Volksmusik, meist neukomponierte, verkitschte Melodien, die mit den alten serbischen Volksliedern nichts mehr gemein haben.

Die Oppositionspolitiker verlesen Solidaritätsbekundungen aus allen Teilen des Landes, aus Skopje, Sarajevo, Zagreb und Ljubljana, in denen die Proteste gegen die Neokommunisten gutgeheißen werden, in denen gefordert wird, Jugoslawien dürfe nicht zu einem weiteren Albanien oder Rumänien werden. Aber über den Kosovo spricht man nicht. Man ignoriert, daß in der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz, die von Milosević gleichgeschaltet wurde, Panzer stehen wie in Belgrad. Nicht einmal die Solidaritätserklärungen der albanischen Oppositionsgruppen aus Kosovo werden verlesen. Geschweige denn daran erinnert, daß genau vor einem Jahrzehnt, am 11. März 1981 Dutzende Albaner von den Salven der jugoslawischen Volksarmee erschossen wurden. Die Opposition zeigt sich in dieser Frage dem Nationalismus verhaftet und nicht der Demokratie.

Am Montag abend hatte der starke Mann Milosević den Demonstranten noch vorgeworfen, „es wimmle“ vor dem Hotel Moskva von „albanischen Terroristen und kroatischen Ustascha-Agenten“. Der Versuch der Staatsführung, aus Gründen des Machterhalts die nationalistische Karte zu spielen, ist aber allem Anschein nach schon jetzt gescheitert.