Hauff-Rücktritt im Römer hausgemacht

Scheinheiligkeit, Betroffenheit und Katzenjammer nach dem Rücktritt des Frankfurter Oberbürgermeisters/ Frankfurter Ex-Jusos rangeln weiter um die Posten/ Hauff beklagt mangelnde politische Kultur in Partei und Fraktion  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Das Schreiben, das der Fraktionsvorsitzende der Frankfurter SPD, Günter Dürr, am Montag abend verbreitete, wirkt nicht sehr professionell. Handschriftlich, gekrakelt, sollte es wohl Betroffenheit über den plötzlichen Rücktritt des Oberbürgermeisters Volker Hauff signalisieren. Der Ton ist dennoch seltsam distanziert. Im Konjunktiv Präsens verabschiedet sich Dürr von dem gescheiterten Schwaben fast wie mit einem Nachruf. „Volker Hauff“, heißt es, „habe sich, ohne seine Kräfte zu schonen, mit enormem Einsatz für die Stadt engagiert.“ Das Schreiben vermittelt etwas von der „sozialen Kälte“, die sich die verschiedenen Seilschaften in der Frankfurter SPD in den letzten Jahren gegenseitig vorgeworfen hatten. Der Auftritt des Fraktionsvorsitzenden, der am Montag abend als einziger eine Stellungnahme abgab, wirkte entsprechend. Dürr wiederholte mehrfach, daß er sich den Schritt Hauffs einfach „nicht erklären“ könne und rückte den Oberbürgermeister damit, wenn nicht in die Nähe der Unzurechnungsfähigkeit, so doch in die Position eines unberechenbaren, introvertierten Sensibelchens.

Daran mag etwas sein. Allerdings wissen KennerInnen der SPD-internen Intrigen, daß es schon immer ein hartgesottenes Gemüt brauchte, um sich, selbst als Einheimischer, bei den Frankfurter Sozialdemokraten durchzusetzen. Eine Aufgabe, die der gegen den Widerstand der Basis an den Main importierte Schwabe Hauff von Anfang an unterschätzte. Dürr, in Spötterkreisen als „Schweinchen Schlau“ charakterisiert, sagte außerdem, Partei und Fraktion hätten „wie ein Mann“ hinter Hauff gestanden. Dies wurde gestern im Römer hinter vorgehaltener Hand präzisiert: „Eben, aber mit erhobenem Messer!“ Nun ist Hauff nicht gerade Cäsar, und Dürr fehlt das dramatische Talent zum Brutus.

Der Fraktionsvorsitzende ist nicht der einzige, der sich im nachhinein den Vorwurf des Königsmordes gefallen lassen muß. In der Wohnung des SPD-Mannes Fred Gebhardt sollen sich außer Dürr noch der Stadtverordnete Christian Raabe mit der SPD-Vorsitzenden Anita Breithaupt getroffen haben, die dann an Hauff vorbei als Nachfolgerin der ausscheidenden Sozialdezernentin Christine Hohmann-Dennhardt in der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Nachfolgediskussion um Hohmann-Dennhardt, die im April als neue Justizministerin nach Wiesbaden geht, ist der Stein des Anstoßes gewesen. Dürr, der erklärte, er akzeptiere Hauffs Beweggründe, könne sie aber „im einzelnen nicht nachvollziehen“, hätte damit selbst wieder einmal das Personalkarussell zugunsten der sogenannten „70er Gruppe“ mit angeworfen. Diese setzt sich vor allem aus ehemaligen Jusos und Juso-Vorsitzenden zusammen, deren verbalradikaler Anspruch sich im Laufe der letzten 20 Jahre immer mehr im Gerangel um Posten erschöpfte, und ist der eigentliche Grund für die anhaltenden Streitigkeiten.

Bereits vor den Kommunalwahlen im März 1989 meldeten die Frankfurter schon einmal Anspruch auf das Sozialdezernat an. Sie wollten dort den AWO-Vorsitzenden Erhard Polzer sehen, der dann über seine Immobiliengeschäfte mit Asylantenheimen stolperte. In diesen Kontext gehört auch, daß der ehemalige Sänger und derzeitige Millionär Dieter Dehm, der Gruppen wie BAP und die Rodgau Monotones managte, weiter an seiner politischen Karriere bastelt. Er hatte zusammen mit dem ebenfalls wegen Grundstücksgeschäften ins Gerede gekommenen ehemaligen Landtagsabgeordneten Nitzling in einem aufwendigen Wahlkampf vergeblich versucht, in den Bundestag einzuziehen. Laut Gerüchten nutzt Dehm jetzt seine Ressourcen, um Anita Breithaupt als Parteivorsitzende zu ersetzen. In die Frankfurter Atmosphäre paßt auch, daß Hauff mit seiner Wohnungsbaupolitik immer wieder scheiterte. Überall da, wo er bauen lassen wollte, stieß er auf den erbitterten Widerstand der Ortsbeiräte aus der eigenen Partei. Zum Eklat kam es dann, als er einen vom CDU- Magistrat aufwendig erneuerten Schlachthof abreißen und im Stadtteil Nieder-Eschbach neu bauen lassen wollte. Die Fraktion ließ ihn im Stich und stimmte zweimal gegen ihn. Damals hatten sich Hauff und Dürr mit gegenseitigen Rücktrittsdrohungen gegenübergestanden. Dürr bestreitet das heute. Streit hatte es außerdem um die Ernennung der Kulturdezernentin Linda Reisch gegeben, auf deren Posten der auch zur „70er Gruppe“ gerechnete Rechtsanwalt Klaus Sturmfels spekuliert hatte. Mit seiner Wunschkandidatin Reisch überwarf sich der OB, als sie lauthals verkündete, sie reise „lieber nach Mailand als in die DDR“. Auch um die Besetzung des Wirtschaftsdezernats und die des Personaldezernats, das Dürr für sich selbst beanspruchte, hatte es Gerangel gegeben. Statt seiner holte Hauff den ehemaligen FDP-Mann Andreas von Schoeler ins Amt, der jetzt unter anderem als Hauff-Nachfolger gehandelt wird. Als „Frankfurter Lösung“ ist außerdem der ehemalige Sozialminister Armin Clauss im Gespräch.

In dieser Fülle von Konflikten, Interessen und Intrigen, merkte ein Journalist an, standen seither „eigentlich nur noch die Grünen“ zu Hauff, die den Rücktritt gestern erst einmal mit „entsetzliche Scheiße“ oder einfach „grauenvoll“ kommentierten. Als loyal galten außerdem der Planungsdezernent Martin Wentz aus der „70er Gruppe“ und Pressesprecher Jan van Trott. Wentz hatte seinerzeit für die SPD ein Grundsatzpapier verfaßt, das die Hinwendung der Partei zum aufgeklärten Bürgertum, zur Urbanität und zu den Yuppies forderte, als gerade die „neue Bescheidenheit“ ausgebrochen war. Volker Hauff ging mit seiner Partei hart ins Gericht: „Ich passe mit meinen Vorstellungen von politischer Kultur offensichtlich nicht zu dem politischen Stil der Personen, die in der Frankfurter SPD in wachsendem Maße den Ton angeben.“ Er habe auf „Liberalität und Toleranz“ und „Teamwork“ gesetzt. Und damit erinnerte er gleich wieder an einen alten Streitpunkt. Er hatte sich gegen die Partei und die Grünen damit durchgesetzt, den CDU-Mann Hans Moog als Bürgermeister im Amt zu belassen. Der wird jetzt die Geschäfte an Hauffs Stelle weiterführen. Der Posten des Frankfurter Bürgermeisters wird ausgeschrieben. Ein Job, um den sich niemand reißen muß. In den 70er Jahren starb OB Möller an einem Herzinfarkt, später verschwand dann Rudi Arndt, psychisch erschöpft, im Europaparlament. Seinen Nachfolger Wallmann ereilte die Pechsträhne erst als Landesvater, dessen ebenfalls glückloser Nachfolger wiederum das Feld für Hauff geräumt hatte. Der neue Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Kanther, kommentierte ironisch: „Die Frankfurter SPD hat noch jeden Oberbürgermeister geschafft. Sie ist sich selbst nicht grün.“