Konvoi — mit der Technik der Spätsiebziger in die Neunziger

■ Den geplanten AKWs fehlen passive Sicherheitssysteme, ein zweites unabhängiges Schnellabschaltsystem und unterschiedliche Notpumpen

Convoy heißt Sam Peckinpahs Trucker-Film von 1978. Der Film endet in einer explosiven Massenschlacht — und war ein großer Erfolg. Den Erfolg dieses modernen Western möchte die deutsche Atomindustrie mit ihren Konvoi-Kraftwerken im „wilden Osten“ gern wiederholen, auf die explosive Massenschlacht würde man gern verzichten.

Das Konzept Konvoi-AKWs von Siemens/KWU stammt wie der Film aus den siebziger Jahren. Die im Osten geplanten Neubauten sollen möglichst baugleich den alten AKW- Schlachtschiffen in Neckarwestheim und Lingen nachempfunden werden. Das soll sie billig machen, vor allem aber die Genehmigung beschleunigen. Diese könnte nach dem gleichen Muster wie bei den letzten Westreaktoren ablaufen. Deren Genehmigung hatte „nur noch“ acht bis zehn Jahre gedauert und nicht 15 wie früher.

Explosionsgefahr und GAU hin oder her — damit die neuen West- AKWs tatsächlich so billig sind, wie man sich das bei den Atomstromern wünscht, wird für die neuen Ost- AKWs die Sicherheitsdiskussion der vergangenen zehn Jahre souverän ignoriert. „Sie versuchen Technik von vor zehn Jahren als neue Anlage zu verkaufen“, schimpft Michael Sailer vom Öko-Institut. Die Darmstädter Wissenschaftler haben eine Liste von neuen Sicherheitsanforderungen zusammengestellt, denen die geplanten Meiler nicht genügen.

Ganz oben auf dem Forderungskatalog des Öko-Instituts steht der Einbau von mehr passiven Sicherheitssystemen. Wenn bei einem Unfall aus technischen Gründen die Notpumpen ausfallen, wäre die Reaktormannschaft völlig hilflos, weil sie ohne Kühlung die Kernschmelze nicht mehr verhindern kann. In US- Reaktoren wird daher seit einigen Jahren der Einbau weitgehend technikunabhängiger passiver Sicherheitssysteme verlangt: beispielsweise ein Wassertank, der höher liegt als der Reaktorkern und im Notfall mit einfacher Mechanik zur Kühlung des Kerns eingesetzt werden kann. Oder ein zweites unabhängiges Schnellabschaltsystem. Die meisten Schnellabschaltungen von AKWs funktionieren heute immer noch wie der legendäre „Axman“; bei der ersten atomaren Kettenreaktion 1943 im Keller einer Baseball- Halle in Chicago hatten die Forscher einen Mann mit Axt auf der Balustrade plaziert. Der „Axman“ sollte bei einer unkontrollierten Kettenreaktion unten im Raum mit einem Axthieb das Seil durchtrennen, an dem über eine Seilwinde die Notsteuerstäbe befestigt waren. Die herabgefallenen Steuerstäbe sollten dann die Neutronen einfangen und so die atomare Kettenreaktion unterbrechen.

In modernen Kraftwerken sind die Notsteuerstäbe immer noch über den im Reaktorkern stehenden Brennstäben aufgehängt. Im Ernstfall werden sie in den Kern hineingefahren. Wenn der Auslöser aber nicht funktioniert (das Seil nicht durchtrennt wird) oder verbogene Brennstäbe das Einfahren verhindern, kann der Reaktor nicht abgeschaltet werden. Für diesen Fall haben englische AKW-Bauer bei ihrem neuesten Block Sizewell B eine zusätzliche Notbremse eingebaut, weiß Sailer. Dazu würde sich zum Beispiel das Einspritzen von flüssigem neutronenfangendem Bor ins Kühlwasser eignen.

Außerdem verlangen die Atomkritiker vom Öko-Institut den Einsatz unterschiedlicher Notkühl- und Noteinspeisesysteme. Stolz war in der Atombranche immer auf die vier bis sechs unabhängigen Notpumpen verwiesen worden, die alle einzeln den Reaktor im Griff behalten können. Bis zu ersten Zwischenfällen: Weil nämlich alle Pumpen häufig vom gleichen Team gewartet werden, schleichen sich auch in allen Pumpen die gleichen Fehler ein. Beispielsweise in Brokdorf, wo 1989 an der Kupplung der Antriebswelle aller Notpumpen das Gegenlager vergessen wurde — ein Fehler, der bei einem Unfall fatale Konsequenzen hätte haben können. Für Sizewell B sind wiederum unterschiedliche Notkühlsysteme vorgesehen.

Für das Öko-Institut sind die Ergebnisse eindeutig: Ohne Neuplanung geht gar nichts. Die neuesten Sicherheitserkenntnisse müssen beachtet werden — und das kommt „sehr viel teurer“. Hermann-Josef Tenhagen