Schüler haben die DDR noch im Ranzen

■ Alte Schulbücher werden häufig wegen Geldknappheit weiterbenutzt/ Improvisation allerorten

Berlin. Die DDR hat in ostdeutschen Schulranzen einen ihrer letzten Überlebensräume: Weil den neuen Bundesländern das Geld für zeitgemäße Schulbücher fehlt, werden an ihren Schulen häufig noch die alten DDR-Lehrwerke benutzt. Wie eine 'ap‘-Umfrage in Ostdeutschland weiter ergab, fordert die Schulbuchmisere Lehrern und Schülern ständiges Improvisieren ab und wird häufig nur mit Spenden aus dem alten Bundesgebiet gemildert.

Im Raum Leipzig wird nach Angaben der Kreisschulrätin Marion Hoßfeld größtenteils noch mit den alten Büchern unterrichtet. Doch der gesellschaftswissenschaftliche Unterricht finde ohne jegliche Lernmittel statt. Nach Auskunft des sächsischen Kultusministeriums werden in den Schulen einige DDR-Bücher verwendet, die die Verlage nach der Wende in Ostdeutschland bereits überarbeitet haben.

Alte DDR-Lehrbücher sind nach Meinung des Sprechers des brandenburgischen Bildungsministeriums, Stefan Woll, in einigen Fächern durchaus noch zu gebrauchen. Das gelte vor allem für den naturwissenschaftlichen Unterricht. Daß in manchen Textaufgaben Begriffe wie „Komsomol“ oder „FDJ“ vorkämen, habe schließlich keinen Einfluß auf das eigentliche Lernziel. Anders sehe es natürlich in Fächern wie Geschichte und Sozialkunde aus. Deutsch sei ein „Grenzbereich“: Zwar behandelten literaturgeschichtliche Bücher aus DDR-Produktion hauptsächlich proletarisch- revolutionäre Kunst und nähmen die Entwicklung der Literatur in Westdeutschland nicht zur Kenntnis. Viele westliche Bücher hätten die literarische Szene der DDR aber auch nur am Rande behandelt.

Urlaubserfahrungen statt Erdkundebuch

Auch nach Einschätzung des Sprechers der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Laurenz Ungruhe, „triefen nicht alle DDR-Bücher zu 100 Prozent vor Ideologie“ und sind zum Teil durchaus noch zu gebrauchen. Eine Kommission in seinem Haus schaue die alten Lehrwerke zur Zeit durch, um zu entscheiden, ob einige in ein neues Verzeichnis zugelassener Lernmittel aufgenommen werden.

Auf private Urlaubserfahrungen greifen thüringische Lehrer inzwischen im Erdkundeunterricht zurück, weil die alten Geographiebücher nicht mehr zu gebrauchen sind und neue fehlen. So behelfen sich die Schulklassen mit Anschauungsmaterial, das Eltern, Verwandte oder Bekannte von Reisen mitgebracht haben. Zur Zeit überprüfen etwa 800 Lehrerinnen und Lehrer aus Thüringen eine Vielzahl von Schulbüchern, die die Verlage zur Genehmigung eingereicht haben. Das Land will nicht die Prüfungsergebnisse der alten Bundesländer übernehmen, sondern unter Beteiligung der Lehrkräfte einen eigenen Schulbuchkatalog erarbeiten. Auf westliche Kriterien verläßt sich dagegen unbesehen Sachsen bei der Buchauswahl. Fachleute prüfen zwar auch hier die Eignung westdeutscher und ostdeutscher Produktionen für den Unterricht. Lehrbücher, die in Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein- Westfalen in Gebrauch sind, brauchen jedoch nicht extra begutachtet zu werden.

Spenden und Elternbeteiligung

Auch an Mecklenburg-Vorpommerns Schulen ist das Improvisationstalent der Lehrer gefragt. „Es kommt schon einmal vor, daß vor allem in den oberen Klassen zwei Schüler in ein Buch schauen müssen, da die Ausstattung noch nicht komplett ist“, berichtet etwa die Direktorin der Schweriner Sigmund-Jähn- Schule, Christiane Westphal. Die Schüler selbst sehen die Engpässe recht locker. „Es macht doch auch einmal Spaß, ohne Buch zu lernen“, schwärmt Antje Tanneberger aus der 11.Klasse der Goethe-Schule in Schwerin. „Da müssen sich die Lehrer eben selbst etwas einfallen lassen.“

Genügend Geld für komplette neue Schulbuchausstattungen gibt es in keinem der östlichen Bundesländer. Vielfach sind sie auf Spenden von großen Verlagen oder Hilfe aus Partnerländern und -schulen im Westen angewiesen. Verschiedentlich werden auch die Eltern für Neuanschaffungen anteilig zur Kasse gebeten, so etwa an der Fritz-Große- Oberschule in Halle. Auch vom Kopiergerät wird in etlichen Schulen reger Gebrauch gemacht.

Die Berliner Schulverwaltung ist bei der Ausstattung mit Lernmitteln mit dem speziellen Problem konfrontiert, eine Ungleichbehandlung in beiden Teilen der Stadt möglichst zu verhindern. Dafür muß der Westteil nach Angaben von Verwaltungssprecher Ungruhe zur Entlastung des Neuanschaffungsetats einstweilen zurückstecken. Bisher war es im Westen Berlins üblich, den Schülern bestimmte Bücher zu schenken. Nun gilt in beiden Stadtteilen das Prinzip des Leihverkehrs. ap