Nur das „allgemeine Lebensrisiko“

■ Gericht lehnt Abriß von Asbest-Bootshallen ab / Anwälte: „Ein Fall für's Bundesverwaltungsgericht“

Wenn Bootshallen aus Asbestplatten in zwanzig Metern Entfernung zu einem Wohnhaus (in der Hauptwindrichtung) stehen, geht davon „keine Gesundheitsgefährdung über das allgemeine Lebensrisiko hinaus“ aus. Das verkündete gestern das Bremer Verwaltungsgericht im Prozeß des Ehepaares Dörte und Dieter Seedorf gegen die Stadtgemeinde Bremen und den Verein für Wassersport e.V. Vegesack.

Seit die Weser vor gut 25 Jahren begradigt wurde und die Wassersportler an die Lesum umsiedeln mußten, liegen die Anwohner des Jachthafens im Klinsch mit Vereinen und Baubehörde. Die hatte zwar 1968 einen Architektenwettbewerb für das „Sondergebiet Sporthafen“ ausgeschrieben, alle schönen Pläne wurden jedoch von der Realität überholt. „In einer Nacht- und Nebelaktion“, so Seedorfs Anwalt Uwe Voigt, hatte der Wassersportverein zwei Hallen auf das Gelände gesetzt. „Das Planungsrecht war damals noch nicht so allgegenwärtig“, meint Reiner Kammeyer vom Bauamt Bremen Nord. Die Behörde beugte sich der normativen Kraft des Faktischen und genehmigte rückwirkend, auf Widerruf. Ein neuer Bebauungsplan (995) soll jetzt legitimieren, was in Grohn schon steht.

Die Seedorfs klagen seit 1987 auf Abriß der beiden Hallen aus Asbestzement (Toschi-Platten), eines in den 60er und 70er Jahren sehr beliebten Baustoffs, dessen gesundheitsgefährdende Wirkung inzwischen feststeht. Sie berufen sich auf ein Gutachten des Bremer Physik-Professors Klaus Bätjer, der bestätigte, daß „eine schwere gesundheitliche Gefährdung der Kläger möglich erscheint.“ Das Gericht foderte ebenfalls Gutachten an, unter anderem vom Bundesgesundheitsamt (BGA) Berlin, das der Auffassung ist, daß „keine Gefährdung über das allgemeine Lebensrisiko hinaus“ vorliegt. Zitiert wurde ferner das von der Baubehörde in Auftrag gegebene Gutachten eines hannoverschen Planungsbüros, in dem festgestellt wird, daß von den mit Toschiplatten verkleideten Bootshallen „eine längst bekannte Gefährdung für Anwohner und Wassersportler ausgeht.“ Richter Dr. Kuhlmann sah sich vor dem Hintergrund der geltenden Grenzwerte von 1000 Fasern pro Kubikmeter Luft nicht imstande, der Klage stattzugeben. Die Rechtsprechung erfordere den Nachweis einer konkreten Gefährdung, die allgemeine Möglichkeit reiche nicht aus. Für den Anwalt von Stadt und Wassersportlern, Volkmar Schottelius, entstehe „eine richtige Gefahr erst beim Abriß der Asbestplatten.“ Die AnwältInnen der Seedorfs, Helga Bahr und Uwe Voigt, sähen den Fall am liebsten vor dem Bundesverwaltungsgericht, um grundsätzlich klären zu lassen, wo eine gesundheitliche Gefährdung beginnt und welche Konsequenzen das hat. Dörte Seedorf war sich nach Bekanntwerden des Urteils noch nicht darüber im klaren, ob sie weiterklagen will. Denn bis jetzt kommen bereits Kosten von 3000 bis 4000 Mark auf sie zu, aber „ich hätte Wut genug im Bauch, das weiterzumachen“. Annemarie Struß-v.Poellnitz