STRENG VERTRAULICH!
: Verunsicherung im Wachtmeisterbestand

■ INFORMATION über Stimmungen und Reaktionen von Angehörigen der DVP zum Sicherungseinsatz am 7./8.10.89

Schwerpunkte in der Diskussion unter Angehörigen der DVP bilden derzeit der Sicherungseinsatz am 7. und 8. Oktober 1989 sowie die in diesem Zusammenhang angekündigte Untersuchung des Einsatzes der Sicherungskräfte.

Durch die Angehörigen der Strafvollzugseinrichtung Berlin wurden einhellig die Maßnahmen der VP für richtig befunden. Infolge der derzeitigen Diskussion fühlt man sich jedoch von Partei und Staatsfunktionären und von der Staatsanwaltschaft allein gelassen. Nach Meinung der Mitarbeiter des Stabes der VPI Mitte haben die Demonstranten gegen bestehende Gesetze verstoßen und nicht die eingesetzten Genossen der DVP.

Angehörige der VPI Mitte fühlen sich nach Studium des Interviews mit dem Genossen Oberst der VP, Dietze, sowie weiterer Presseartikel als »Sündenböcke« abgestempelt. Es wird die Frage gestellt, mit welchem Grund sich zur Zeit viele Bürger sowie die Massenmedien das Recht herausnehmen, die Tätigkeit der DVP politisch und fachlich zu bemängeln. Diese erfolgte oftmals ohne Sachkenntnis. Dabei wurde die Frage nach der heutigen Stellung der VP in der Gesellschaft aufgeworfen. Im Bereich Spezialnachrichtenwesen des PdVP Berlin wurde in diesem Zusammenhang festgestellt, daß in den Medien nur noch von Polizei und nicht von Volkspolizei gesprochen wird. Damit verbunden wird die Frage gestellt, ob sie nicht mehr zum Volke gehören.

Bei Diskussionen der VPI Hellersdorf bestimmten folgende Fragen die Diskussion:

—Warum wurden nicht zu Beginn der Konfrontation am 7.10. 1989 die 30 bis 40 Randlierer aufgelöst und personifiziert?

—Warum wurden die Aktivitäten der Rädelsführer und Randalierer nicht dokumentiert, um die Rowdyhandlungen nachweisen zu können?

—Was ist das für eine plötzliche »Wende«, wenn die Teilnehmer einer nichtgenehmigten Demonstration und Rowdys auf freien Fuß gesetzt werden und Jagd auf die Sicherungskräfte gemacht wird?

Insgesamt ist in der Diskussion eine Verunsicherung der Genossen des Wachtmeisterbestandes zu verzeichnen. Zunehmend besteht die Auffassung, daß die Sicherheitsorgane »den Prügelknaben für die Schuld der Politiker« darstellen. Diese stellen sich jetzt als »die Reformer« hin. Bei den VP-Angehörigen entsteht der Eindruck, als hätten diese Staats- und Parteifunktionäre nur darauf gewartet, endlich aus dem Dogmatismus Honeckers ausbrechen zu können. Dabei wird die Frage diskutiert, ob die ganze Misere Schuld einer Einzelperson oder nur der Drang ist, an seinen Privilegien festzuhalten.

Leitende Genossen der VPI Weißensee bringen ihr Unverständnis zu den befohlenen Maßnahmen des Präsidenten der VP vom 21.10. 1989 zum Ausdruck. Sie betrachten diese Maßnahmen als Schuldzuweisung für die Ereignisse am 7./8.10. 1989 nach unten.

Jetzt soll der Wachtmeister für getroffene Entscheidungen herhalten bzw. die Genossen, die auf den Zuführungspunkten befohlene Maßnahmen durchsetzten. Die betroffenen Genossen fühlen sich diskriminiert, wenn sie jetzt vernommen werden wie Beschuldigte. Die befohlenen Maßnahmen des Präsidenten wurden insgesamt mit Widerwillen realisiert.

Verteiler:

Mitglied des Politbüros und Sekretär des Zentralkomitees der SED, 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Genosse Günter Schabowski

Mitglied des Zentralkomitees der SED und 2. Sekretär der Bezirksleitung Berlin der SED, Genosse Helmut Müller

Mitglied der Bezirksleitung Berlin der SED und Leiter der Abteilung Sicherheit, Genosse Dieter Stöhr