Der Polizei auf die Finger geschaut

■ Datenschutzbeauftragter Garstka legte Jahresbericht vor/ »Brutale Verstöße gegen informationelles Selbstbestimmungsrecht« in der ehemaligen DDR/ »Viel zu viele ED-Behandlungen« in West-Berlin

Berlin. Polizeipräsident Georg Schertz ist stolzer Besitzer einer Sammlung, die seine Kollegen im alten Bundesgebiet vor Neid erblassen läßt: 50 auf Pappe aufgeklebte Ohrabdrücke mutmaßlicher Langfinger aus den Beständen der Volkspolizei, die am 3. Oktober an das Polizeipräsidum am Platz der Luftbrücke übergingen. Die Abdrücke stammen von Wohnungstüren, an denen die Einbrecher nach Annahme der Volkspolizei gehorcht hatten, bevor sie sich hineinschlichen.

Diese Ohrenabdruck-Spurensammlung führte der Berliner Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka gestern in seinem Jahresbericht als ein Bespiel für »die brutalen Verstöße gegen die informationelle Selbstbestimmung in der DDR« an. Daß bei der Stasi so viele Daten zusammengeführt werden konnten lag Garstka zufolge vor allem daran, daß jeder DDR Bürger eine Personenkennzahl (PKZ) hatte, die ihn in allen Lebensbereichen — von der Anmeldung eines Autos, über den Abschluß einer Versicherung bis zur ärztlichen Behandlung im Krankenhaus — begleitete. Diese Daten wurden nicht nur von der Stasi, sondern auch von vielen anderen Ostberliner Behörden zentral gespeichert.

Die Bereinigung der Datensammlungen zählt seit der Wende zu den vorrangigen Aufgaben des Berliner Datenschutzbeauftragten Hansjürgen Garstka. Davon ausgenommen ist allerdings die Stasi-Datei, für das das Bundesinnenministerium zuständig ist. Nach Angaben des Datenschutzbeauftragten versuchen die 18 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen seiner »kleinen Dienststelle« schon seit geraumer Zeit, den Datenschutz in Ost-Berlin sicherzustellen. Mit einem halbwegs zufriedenstellenden Ergebnis sei jedoch nicht vor 1992 zu rechnen. Dieses Datum wurde im Einigungsvertrag als Zeitpunkt festgesetzt, zu dem die Behörden-Umorganisation abgeschlossen sein soll. Garstka zufolge arbeiten viele Behörden in Ost-Berlin in Ermangelung eines »eigenen Merkmals« immer noch mit der alten Personenkennzahl. Eine Vielzahl von Datensammlungen der Volkspolizei, wie die Ohrenabdrücke oder die Rowdydatei seien aber bereits aus dem Verkehr gezogen und für die weitere Verwendung gesperrt. Gelöscht werden könnten die Daten aber nicht, weil der Betroffene nach dem Berliner Datenschutzrecht für den Fall etwaiger Rehabilitationsansprüche zuvor angehört werden müsse. Im Fall der Ohren sei dies jedoch in Unkenntnis der dazugehörigen Menschen sehr schwierig. Die Ostberliner Kripodatei »Dora« (dialogorientierte Recherche und Auswertung) werde vom Polizeipräsidium jetzt für eigene Zwecke ausgewertet.

Des weiteren wiederholte der Datenschutzbeauftragte in dem Jahresbericht die schon mehrfach geäußerte Kritik am neuen Ausländergesetz, nachdem die Ausländerbehörde bei anderen Behörden sämtliche Daten von Ausländern anfordern kann. Damit würden die »Behörden zum Büttel der Ausländerbehörde gemacht, das ist am Rande der verfassungswidrigkeit«, erklärte Garstka. Weitere Probleme werden dem Datenschutzbeauftragten zufolge die neuen Telekommunikationstechniken bringen. Die Speicherung der Nummern sei nur auf Wunsch des Betroffenen zulässig.

Unter die Lupe nehmen wird der Datenschutzbeauftragte in diesem Jahr auch die Fassung des neuen Berliner Polizeigesetzes. Dabei wird es vor allem darum gehen, ob der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln in Einklang mit dem Datenschutz zu bringen ist. Auch bei der erkennungsdienstlichen Behandlung (ED) will die Garstka-Behörde der Polizei in diesem Jahr genau auf die Finger sehen. Laut Garstka werden in Berlin »viel zu viele« ED-Behandlungen (Fingerabdrücke und Fotos) durchgeführt. So wurde ein 14jähriger Junge, der sich mit zwei Freunden auf dem Nachhauseweg befand, von der Polizei angehalten und einer ED-Behandlung unterzogen. Der Grund: Der Junge wurde in einer Gegend angetroffen, in der Jugendbanden aktiv sind. Konkrete Anhaltspunkte, daß er zu einer Bande gehörte, bestanden nicht. Die Daten des Jungen wurden erst nach einer Anfrage Garstkas gelöscht. Novum des seit Anfang des Jahres gültigen neuen Datenschutzgesetzes ist, daß die Behörde jetzt auch Strafanzeige erstatten darf. plu