Das ideale Kino?

■ Vergangene Woche eröffnete Hans-Joachim Flebbe in Hannover das erste Cine-Maxx

Nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich die US-Regierung generös gegenüber den heimgekehrten GIs und versorgte sie mit den typisch amerikanischen Leichtbau-Eigenheimen, was zur Folge hatte, daß die Ausläufer der Städte bis weit ins Umland vordrangen. Die großen Warenhauskonzerne folgten ihren Kunden und stellten Einkaufszentren bislang ungekannten Ausmaßes auf die grüne Wiese. Clevere Planer wie der Architekt Victor Gruen ersannen Komplexe, die nicht allein der profanen Bedarfsdeckung dienten, sondern „eine möglichst reiche Palette menschlicher Erlebnismöglichkeiten und städtischen Lebens“ boten. Gruen selber revidierte später die ganz auf das Auto abgestimmten Entwürfe, aber inzwischen waren dem Einzelhandel andere Branchen gefolgt. Mittlerweile stehen, meist nicht weit entfernt von Einkaufszentren der beschriebenen Art, auch Kinozentren vor den Toren der Städte, wahre Lichtspiel-Supermärkte, unter deren Dach meist noch Spielhallen, Videotheken, Hamburger-Restaurants und andere Stätten modernen Freizeitvergnügens untergebracht sind.

In Köln wurde Ende vergangenen Jahres das erste Multiplex-Kino nach US-Maßstab eröffnet, weitere sind im Bau. Der amerikanischen Idee begegnet der Hannoveraner Kinounternehmer Hans-Joachim Flebbe mit einem eigenen Konzept. Vergangene Woche eröffnete an der Nikolaistraße in der Leine-Stadt das erste Cine-Maxx seine Glastüren; weitere sollen folgen. Statt dort zu bauen, wo Parkplätze bereits vorhanden oder billig sind, setzt Flebbe auf die Innenstädte oder deren Peripherie. Zwar verfügt das Cine-Maxx über ein eigenes Parkhaus mit 450 Stellplätzen, doch ist es ebensogut wie mit dem Auto auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln, dem Fahrad und sogar der Bahn zu erreichen. In der anläßlich der Premiere verteilten aufwendigen Broschüre beteuern die Autoren denn auch, daß sie mit ihrem Projekt „zur Belebung der Innenstädte“ beitragen möchten.

Am Anfang der Entwicklung standen indes natürlich nicht städteplanerische Ziele, sondern der Entwurf des idealen Kinos. Flebbe, der einst mit einem Programmkino begann, ist heute nach Heinz Riech der Kino- Vizekönig Deutschlands und verfolgt ebenso hartnäckig wie leidenschaftlich sein Ziel, das Kino wieder zu dem zu machen, was es in seiner Blütezeit einmal gewesen ist. Zu seinem Imperium gehören etliche Filmpaläste aus dieser glorreichen Zeit, die zum Teil liebevoll renoviert wurden. Dennoch gab es häufig Beschränkungen aufgrund architektonischer oder denkmalschützerischer Gegebenheiten, die die Verwirklichung des optimalen Kinos unmöglich machten. Folglich entwickelten Flebbe und seine Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit dem Architekten Helmut Sprenger das Cine-Maxx- Modell: Im Fall des Hannoveraner Prototyps umfaßt es zehn Kinos mit zwischen 150 und 728 Plätzen. Alle Spielstätten bieten durch Gesaltung in Form des klassichen Amphitheaters bestmögliche Sicht, großen Sitzkomfort und erstklassige Tonqualität. Vier Kinos sind mit dem von Lucasfilm entwickelten exklusiven THX-System ausgestatten, das bislang erst in sieben deutschen Kinos installiert wurde. Auch vor elektronischen Medien wie dem hochauflösenden Fernsehen hat Hans-Joachim Flebbe keine Angst; bei Bedarf kann das Cine-Maxx entsprechend nachgerüstet werden.

Nicht nur den Filmtheatern selbst, auch den Vorräumen widmeten sich die Bauherren mit großer Sorgfalt, denn das Cine-Maxx soll „moderne Technik mit dem Charme und Glanz der alten traditionsreichen Filmtheater verbinden“. Diesem Anspruch zum Trotz verzichtete man glücklicherweise auf nostaglisches Interieur. Statt dessen setzte man, wie auch bei der Außengestaltung, auf Gebäudemöblierung im dezent postmodernen Stil. Den Reiz eines Filmtheaters klassischer Prägung allerdings kann diese Architektur nicht vermitteln. Wenn da die Ebenen vor den Kinos vollmundig als „Film- Boulevard“ oder „lichtdurchflutete Foyer-Landschaften“, die ausgeklügelte Beleuchtung als „Lichtinszenierung“ beschrieben oder der Fassade großspurig eine „raumordnende Funktion“ zugesprochen wird, so handelt es sich dabei um den typisch großspurigen Architektenjargon, mit dem gern Belangloses zum Jahrhundertwerk überhöht wird. Trotz des Wasserfalls im Eingangsbereich, trotz gediegener Ausstattung und großzügiger Raumplanung ist das Cine-Maxx immer noch ein Zweckbau und leugnet das letztlich auch nicht, wie an den Computerkassen, den Displays oder den Publikumsschleusen deutlich wird. Das vielfach beschworene Duo „Glanz und Glamour“, von Niedersachsens Ministerpräsident Schröder in seinem Grußwort ebenso herbeigesehnt wie von Hannovers Oberbürgermeister Schmalstieg, kann in den weiten Räumen allenfalls durch Füllmenge entstehen — durch Menschen also.

Daß die in Massen kommen, hoffen natürlich die Investoren und Betreiber des Komplexes. Gesellschafter der Cine-Maxx Hannover GmbH sind die beiden Unternehmer Rolf Deyhle und Dr. Bodo Scriba. Letzter konnte während seiner langjährigen Tätigkeit für Leo Kirch immerhin dem nationalen Mediengiganten über die Schulter schauen, bevor er sich als Verleiher und Produzent selbständig machte. Der Stuttgarter Rolf Deyhle ist Immobilienhändler und an den Bochumer und Hamburger Produktionen des Musicalimpresarios Kurtz (Cats etc.) beteiligt. Die Kooperation der Scriba & Deyhle OHG einerseits und Flebbe andererseits ist pikant insofern, als damit eine Allianz entsteht von Filmproduktion, -distribution und -aufführung, eine Angelegenheit von filmpolitischem Rang.

Scriba & Deyhle sind nach Leo Kirch Deutschlands zweitgrößte Filmhändler, und diesen Rückhalt kann Flebbe gut gebrauchen. Mit seiner — gewiß ehrlichen, aber immer auch gut verkauften — Begeisterung für großes Kino hat es nämlich noch eine besondere Bewandtnis: Als größter Kinoeigner Deutschlands verfügt der einst für seine lieblos geführten Schachtelkinos berüchtigte Mitbewerber Heinz Riech über die Macht, ihm bei den Verleihern die profitträchtigsten Spielfilme streitig zu machen. Das könnte sich ändern, wenn Flebbe und seine Partner, wie geplant, weitere Kino-Komplexe in Bielefeld (1.800 Pätze), Essen (mit 5.500 Plätzen dann Deutschlands größtes Filmtheater), München und Hamburg eröffnen — spätestens dann kommt dank Cine-Maxx an dem Cine-Jochen aus Hannover niemand mehr vorbei. Auch nicht sein Rivale Heinz Riech, der bezeichnenderweise im westfälischen Münster mit dem „Stadt New York“ bereits ein dem Cine-Maxx-Konzept nicht unähnliches Projekt verwirklicht hat. Harald Keller