Flüchtlinge berichten vom Terror Saddams

■ Regimetreue Truppen gewinnen offenbar an Boden/ Berichte über Geiselnahme von 5.000 Kurden in Kirkuk und öffentliche Hinrichtungen im Südirak/ Racheakte an ägyptischen Flüchtlingen

Berlin (taz) — Erhängte in den Straßen südirakischer Städten, eine Geiselnahme von 5.000 Kurden, Einsätze von Napalm durch regimetreue Soldaten in Basra: Nach den Erfolgsmeldungen irakischer Oppositionstruppen im Exil sind es nun Horrorberichte über die Taten der Truppen Saddam Husseins, die die Nachrichtenlage bestimmen. Auch die Angaben oppositioneller Organisationen, die sich in der libanesischen Hauptstadt Beirut zu einem dreitägigen Kongreß getroffen hatten, klangen gestern weniger optimistisch. Das irakische Militär gehe unglaublich brutal gegen die Aufständischen im Norden und Süden des Landes vor. In Delegiertenkreisen hieß es, die Situation sei völlig unklar, und man wolle nicht mehr ausschließen, daß Saddam Hussein den Aufstand überstehen werde.

Ein Sprecher der Patriotischen Union Kurdistans in London, Barhem Saleh, sagte gegenüber 'ap‘, die Regierung in Bagdad drohe mit der Ermordung der 5.000 kurdischen Geiseln, meist Frauen und Kindern, die in die von den Widerstandskämpfern bedrohte Stadt Kirkuk gebracht worden seien. Die Sorge um die Geiseln hemme den Vorstoß der Peschmerga nach Kirkuk, mit dessen rascher Eroberung ursprünglich gerechnet worden sei, sagte Saleh. Außerdem wolle man nach Möglichkeit Straßenkämpfe vermeiden, die sehr verlustreich seien.

In Beirut warnte auch der ehemalige irakische Minister der Kommunistischen Partei, Amr Abdallah, vor einem Angriff auf Kirkuk, allerdings aus einem anderen Grund. Die Stadt liegt zwar in Kurdistan, wird jedoch mehrheitlich von Turkmenen bewohnt. Unter dem Vorwand, die türkischstämmige Minderheit zu schützen, könne die Regierung in Ankara auf den Plan treten, die schon seit dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches Gebietsansprüche auf die ölreiche Provinz erhebt. PUK- Chef Jalal Talabani bestätigte unterdessen, daß er und Mohsen Dizai von der Demokratischen Partei Kurdistans Massoud Barzanis sich letzte Woche mit einer Delegation des türkischen Außenministeriums getroffen hätten. Die Begegnung wäre eine von vielen mit den Nachbarstaaten des Irak gewesen, bei denen die Opposition die Lage im Lande erklärt habe.

Über die Situation im Süden des Irak gab es auch gestern widersprüchliche Berichte. Die iranische Nachrichtenagentur 'Irna‘ sprach davon, daß Basra noch in den Händen der Opposition sei; Flüchtlinge im Irak gaben demgegenüber mehrheitlich an, regimetreue Truppen kontrollierten die Stadt wieder; es gebe jedoch in den Armengebieten noch Widerstand. Berichte des iranischen Rundfunks, nach denen Saddam Hussein in Basra Napalm eingesetzt habe, wurden von anderer Seite zunächst nicht bestätigt.

Flüchtlinge, die aus den umkämpften südirakischen Städten geflohen sind, berichteten gegenüber Journalisten von neuen Greueltaten des Regimes. In Basra und Zubair hingen Erhängte von den Kanonenrohren der Panzer. Ein Deserteur, der sich den Aufständischen angeschlossen hatte, berichtete, zahlreiche Menschen würden auf diese Weise umgebracht. Andere Flüchtlinge sagten, in den Straßen von Nasiriyah und Basra lägen Leichen zur Abschreckung der Bevölkerung. In den Städten herrschten chaotische Zustände; es gebe auch Gruppen von Saddam-Gegnern, die das Gesetz in die eigenen Hände nähmen und Personen hinrichteten, die als Kollaborateure mit dem Regime gelten. Ägyptische Flüchtlinge aus Basra berichteten auch von Übergriffen auf ihre Landsleute durch Anhänger der fundamentalistischen schiitischen Dawa-Partei. Ägypten hatte im Golfkrieg die Allianz unterstützt.

Aus den Angaben der meisten FLüchtlinge ging hervor, daß sie den Aufständischen kaum noch Chancen einräumen. „Wenn es so bleibt, wie es ist, wird es keinen Erfolg geben. Die Rebellen folgen ihren persönlichen Vorstellungen, und die führen nirgendwohin“, meinte einer. Andere wiesen darauf hin, daß die Erhebung unorganisiert sei und die Aufständischen schlecht bewaffnet seien.

Zu berücksichtigen ist auch, daß viele einfache Soldaten, oft selbst Schiiten, die mit den Aufständischen sympathisieren, Angst um ihre Familien im Norden des Landes haben, eine Angst, die im Irak durchaus auf Erfahrung beruht. Außerdem fürchten zahlreiche Soldaten die irakischen Sondereinheiten. Informationen aus Bagdad zufolge sollen der Militär- und Geheimdienstapparat noch loyal zu Saddam Hussein stehen. Offenbar kam es jedoch an einzelnen Orten, wo die Proteste bereits niedergeschlagen waren, zu neuerlichen Aufständen, sobald die Regimetruppen weiterziehen.

Wenn der Aufstand im Süden einmal weitgehend niedergeschlagen ist, dürfte Saddam Hussein seine Truppen verstärkt nach Kurdistan schicken. Im Vergleich zu den spontanen Erhebungen im Süden sind die kurdischen Kämpfer aber gut organisiert und blicken auf eine lange Geschichte des Kampfes gegen Saddam Hussein zurück. B. S.