PORTRAIT
: Japans „coming man“: unberechenbar und stark

■ Ichiro Ozawa, Generalsekretär der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP), ist Japans Hoffnungsträger, der der nach dem Golfkrieg verschüchterten Wirtschaftsmacht zu neuem Selbstbewußtsein verhelfen könnte

Während der Sieben-Uhr-Nachrichten des halbstaatlichen Fernsehsenders NHK erschien sein gequältes Lächeln seit Beginn der Golfkrise täglich mindestens dreimal: Einmal beim obligatorischen Austausch mit Regierungchef Toshiki Kaifu, dann beim Mehrparteiengespräch über die japanischen Kriegsgelder, schließlich im Kreis der eigenen Parteiführung. Ichiro Ozawa war allgegenwärtig. Wer immer den Gang der japanischen Golfpolitik mitbestimmen wollte, kam um den gerade erst 48jährigen Generalsekretär der seit über drei Jahrzehnten regierenden liberaldemokratischen Partei (LDP) nicht mehr herum.

Ichiro Ozawa, der Youngster unter den Protagonisten der japanischen Politik, erscheint heute trotz aller Rückschläge während der Golfkrise wie gemacht dafür, der verschüchterten Wirtschaftsmacht wieder auf die Beine zu helfen. Wenn die LDP im Herbst — wie gewohnt nach zwei Jahren — turnusgemäß ihren neuen Regierungschef bestimmt, stehen die Chancen gut für Ozawa. Die Qualitäten des liberaldemokratischen Kronprinzen liegen im Verborgenen. Parteifreunde rühmen sein Verhandlungsgeschick. Parteirivalen zürnen seinen Privilegien, die er durch die Intimfreundschaft mit Veteran Shin Kanemaru gewinnt, dem derzeit einflußreichsten Fraktionsführer im Parlament. Darüber hinaus erfährt die Öffentlichkeit wenig. Denn trotz seiner überwältigenden Medienpräsenz gibt Ichiro Ozawa so gut wie niemals Interviews. Er versteckt geradezu seine politischen Überzeugungen. Für die Fernsehnachrichten reicht mithin ein Lächeln aus. Und die Zeitungen begnügen sich mit Hinweisen aus dem politischen Umfeld.

Wie ist es dennoch möglich, daß das Tokioter Establishment, von den Leitartiklern bis zu den Arbeitgeberführern, in Ichiro Ozawa derzeit die neue Führerfigur des modernen Japan erkennt? „Er ist ein Führer, der stark genug ist“, sagt Arbeitgeberpräsident Eiji Suzuki. Denn anders als seine Vorgänger scheut Ichiro Ozawa keine Tabus. Er war der erste, der Soldaten in den Golf schicken wollte. Ihn kümmerte kein Verfassungsstreit. Als ein neues Gesetz scheiterte, verfügte er eine Regierungsverordnung, die den Truppentransport nach Nahost erlaubt hätte. „Ichiro Ozawa hat mehrmals unter Beweis gestellt, daß er die einfachsten demokratischen Spielregeln gründlich mißachtet“, warnt der renommierte Schriftsteller Shuichi Kato. Kritische Stimmen am Rande unterstellen dem „coming man“ den Willen zu einem autoritären Regierungsstil.

Doch gerade weil er Autorität verspricht und die Regeln der japanischen Parteiendemokratie willkürlich verletzt, ist Ichiro Ozawa für viele Japaner der neue Hoffnungsträger. Die außenpolitische Krise dieser Tage war lange Zeit vorhersehbar. Ozawa verkörpert ein Stück neuer Unberechenbarkeit in der japanischen Politik.