Beziehungskrise zwischen Tokio und Washington

■ Schlagabtausch zwischen den Giganten: Gestern platzte Japans Regierungschef Kaifu der Kragen. Was sich die US-Administration gegenüber ihrem wichtigsten Wirtschaftspartner derzeit...

Scheinbar widerspruchslos läßt sich Japan dieser Tage von den USA zum Verbündeten zweiter Wahl herabsetzen. Zwei Wochen nach dem Ende des Krieges im Mittleren Osten hat George Bush eine Art diplomatische Blockade gegen die Konkurrenzmacht im Fernen Osten verhängt, die eine dramatische Verschlechterung in den Beziehungen der beiden führenden Weltwirtschaftsmächte ankündigt. Mit tiefer Verärgerung reagierte gestern der japanische Regierungschef Toshiki Kaifu auf die zahlreichen Vorwürfe aus den USA, Japan habe in der Golfkrise nicht eindeutig genug Position bezogen. „Das Verhalten der USA läßt mich mit den Zähnen knirschen“, diktierte Kaifu dem halbstaatlichen Fernsehsender NHK in einem unvermutet harten Tonfall. „Ich glaube, Japan wird in den USA nicht richtig wertgeschätzt“, setzte der Premier noch einen drauf.

Für den japanischen Ministerpräsidenten haben diese Worte mehr als nur tagespolitische Bedeutung. Sie gleichen einer politische Bankrotterklärung. Denn wiederholt hatte Kaifu die Wiederherstellung eines guten Verhältnisses zur US-Administration zum obersten Ziel seiner Amtszeit erklärt. Alles hatte Kaifu im vergangenen Jahr darangesetzt, um eine persönliche Beziehung zum US-Präsidenten aufzubauen. Doch am Wochenende sagte George Bush brüsk und ohne weitere Begründung seinen noch während der Golfkrise versprochenen Frühjahrsbesuch in Tokio ab.

Gleichzeitig schwappte eine Welle scharfer Kritik über den Pazifik. „Japan hat sich nach der irakischen Invasion in Kuwait nicht besonders verärgert gezeigt“, gab US- Parlamentssprecher Thomas Foley den Ton an. Eine Umfrage der 'Washington Post‘ zeigte, daß ein Drittel der befragten US-Bürger nach dem Krieg ihr „Vertrauen in Japan verloren“ hätten. Premier Kaifu, der mit dem bereits fest eingeplanten Bush- Besuch in Tokio den Höhepunkt seiner Amtszeit feiern wollte, konnte das Scheitern seiner Außenpolitik kaum noch verbergen.

In Japan schwingt zur Zeit ein wenig Verzweiflung um die politische Zukunft des Landes mit. Mit dem Ende des Kalten Krieges erstrahlte Japan noch im Morgenrot einer jungen Weltmacht; heute ist nur Schamröte übriggeblieben. Bis zum Ende des Golfkrieges hatte sich Tokio aus verfassungsrechtlichen Gründen geweigert, militärisch am Konflikt teilzunehmen.

Doch mit der Unfähigkeit, darüber hinaus eigene politische Akzente in der Golfkrise zu setzen, verspielte Japan nach Ansicht nahezu sämtlicher westlicher Beobachter seine internationale Glaubwürdigkeit. Japans Politik schien zeitweise wie lahmgelegt. Da war der Augenblick für die „Elternmacht“ in Washington gekommen, den vorausgegangenen Autoritätsverlust wiedergutzumachen.

Denn geradezu aufmüpfig hatten sich Japans Mächtige in den letzten Jahren benommen. Immer häufiger traten hochrangige japanische Politiker und Unternehmer in den USA als scharfe Kritiker der westlichen Führungsmacht auf. Sie scholten die US- Administration einer unverantwortlichen Schuldenpolitik, die unvermeidlich den wirtschaftlichen Niedergang der USA nach sich ziehen werde. Sie bemängelten das US- amerikanische Schulsystem, an dem sie die (japanische) Disziplin vermißten. Sie belächelten westliche Management-Methoden, denen die globale Weitsicht japanischer Unternehmen fehle.

George Bush, der Prophet der „neuen Weltordnung“, will sich auf solche Art offenbar nicht weiter belehren lassen. Nach allen Seiten teilt er Tokio derzeit Ohrfeigen aus. Bereits in der vergangenen Woche hatte der US-Präsident die Außenminister Frankreichs, Englands und nicht zuletzt auch Deutschlands empfangen. Nur Taro Nakayama, der japanische Kollege, durfte Schlange stehen, obwohl sein Land, wie Regierungschef Kaifu gestern betonte, trotz einer langwierigen Parlamentsdebatte das erste sein wird, das seinen vollen Anteil von elf Milliarden Dollar aufs Kriegskonto des Pentagon überweist. Zur Schmach der Tokioter Regierung gelang es erst für den 20.März, für Nakayama in Washington einen Termin zu vereinbaren — ein Treffen mit Präsident Bush ist jedoch bisher zu diesem Anlaß nicht vorgesehen.

Der aber läßt Tokio derzeit in aller Welt auflaufen. Das mußte in dieser Woche sogar der derzeit meistbeachtetste Politiker Japans, der Generalsekretär der regierenden Liberaldemokraten (LDP), Ichiro Ozawa, spüren. Ein für eine Million Dollar gebuchtes Charterflugzeug der 'Egypt Air‘ wartete bereits in Tokio auf den hochrangigen Fluggast, als die Militärbehörden aus Washington mitteilen ließen, daß derzeit kein Flugzeug für die von Ozawa beantragte Weiterreise vom saudiarabischen Riad nach Kuwait zur Verfügung stehe. Offizielle Begründung: Alle Maschinen in Riad würden für den Heimflug von US-Soldaten gebraucht. Ozawa mußte daraufhin seinen Trip absagen.

Die Erklärung für so wenig Entgegenkommen aus Washington hatte der US-Botschafter in Tokio, Michael Armacost, freilich schon in einer programmatischen Rede vor zehn Tagen geliefert: „Die US-japanischen Beziehungen treten heute in eine gefährliche Phase.“ Der Botschafter kritisierte das „passive“ Verhalten Japans in den internationalen Handelsgesprächen (GATT), warnte vor einem japanischen Handelsblock in Asien und betonte, daß sich das Interesse der USA nach dem Ende des Golfkrieges erneut den Handels- und Wirtschaftsproblemen mit Japan zuwende. Im drohenden Tonfall fügte Armacost hinzu: „Das gilt insbesondere in Zeiten der Rezession.“

Solches Säbelrasseln, mit dem die USA unter dem Druck der Rezession den Handelsfeind Japan in die Schußlinie ihrer Außenpolitik rücken, findet freilich sein Pendant in der gegenwärtigen Stimmung in der japanischen Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund des außenpolitschen Scheiterns der Regierung herrscht allerorten Verdruß über den großen Bruder. „Der Westen hat für die Kultur der Araber nicht genügend Verständnis gezeigt“, umschreibt Eiji Suzuki, Vorsitzender des Unternehmerverbandes 'Nikkeiren‘, seine Kritik an den USA. Es ist dabei kein Zufall, wenn Japans derzeit lautstärkster Unternehmerboß im Gespräch mit der taz eine halbe Stunde lang abstrakte Überlegungen zur Golfkrise anstellte, ohne die USA mit auch nur einem einzigen Wort zu erwähnen. Bei Suzuki ist, wie so oft in Japan, entscheidend, was er nicht sagt.

Andere, vielgehörte Stimmen schließen sich dem Konzert der Kritiker an. Mit zahlreichen Medienbeiträgen meldete sich der alternde Starintellektuelle Shuichi Kato wieder zu Wort. „Wer jetzt nicht aufs Zentrum, auf Washington zielt, der schießt daneben“, erklärt Kato sein wiedergefundenes Interesse am öffentlichen Diskurs. Fast gegenläufig zur Bewegung der europäischen Intelligenz haben Japans Meinungsmacher im Golfkrieg einen Anlaß zur weiteren Abgrenzung von den USA gefunden. „Wenn Japan überhaupt etwas von der Golfkrise gelernt hat, dann ist das die Erkenntnis, daß sich Japan nicht mehr auf so miserable Art und Weise sein Verhalten aus Washington diktieren lassen kann“, resümiert der Leitartikler der 'Nihon Keizai‘, Tokios führender Wirtschaftszeitung.

Damit scheinen die Fronten geklärt: deutlich wie nie die Japan-Kritik in Washington, deutlich wie nie der Widerspruch in Tokio. Wie hatte noch die französische Zeitschrift 'Le Monde Diplomatique‘ prophezeit: „Der Krieg gegen den Irak wird lange vor jenem anderen Krieg zwischen den beiden großen Anliegern am Pazifik beendet sein.“