Bundeswehr in aller Herren Länder

Kanzler Kohl und sein Verteidigungsminister fordern Bundeswehreinsätze auch außerhalb der Nato/ Stoltenberg polemisiert gegen „Friedensrigorismus“ und beruft sich auf Verantwortungsethik  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Geht es nach dem Willen der Bundesregierung, soll die Bundeswehr künftig in aller Welt eingesetzt werden können. Bundeskanzler Helmut Kohl und Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg erklärten bei der 32. Kommandeurtagung in Bonn, es müßten möglichst bald die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die Streitkräfte im Rahmen der UNO-Beschlüsse eingesetzt werden können. Daß bei den Überlegungen der Bonner Regierung an die Beschränkung eines Bundeswehreinsatz auf das Territorium der Nato gar nicht mehr gedacht wird, geht unzweifelhaft aus den Ausführungen der beiden CDU-Politiker vor den rund 480 Generälen und Admirälen hervor. Stoltenberg legte gestern dar: „Es muß hier um die ganze Bandbreite der Reaktionsformen gehen, die nach der UN-Charta möglich sind.“ Die Streitkräfte sollten künftig „auch für kollektive Einsätze außerhalb des Bündnisgebietes zur Verfügung stehen“. Die internationale Gemeinschaft, so Stoltenberg, hege den verständlichen Wunsch, daß die Deutschen „aktiv an Sanktionen der Völkergmeinschaft, einschließlich militärischer Maßnahmen“ mitwirken .

Nahezu wortgleich hatte sich auch der Kanzler am Vortag für den sogannten „Out-of-area“-Einsatz der Bundeswehr stark gemacht. Kohl sprach sich im Zusammenhang mit der angestrebten Grundgesetzänderung strikt „gegen eine mindere Lösung“ aus. Den Oberfehlshaber der allierten Streitkräfte Europa-Mitte, General Hans-Henning von Sandrart, dürften diese Ausführungen zufrieden gestellt haben. Er hatte angemahnt, daß die anstehende Verfassungsänderung „nicht windelweich“ ausfallen dürfe. Keinen Zweifel ließ Kohl weiter daran, daß er in der strittgen Frage des Bündnisfalles weiter davon ausgeht, daß allein die Bundesregierung diesen ausrufen kann.

Heftig griff der Verteidigungsminister Stoltenberg all die an, die den neuen Großmachtplänen der Bundesregierung skeptisch gegenüberstehen: die Friedensbewegung und die Kriegsdienstverweigerer. „Wer in den letzten Wochen wieder einmal die Verweigerung des Dienstes mit der Waffe als das deutlichere Zeichen für die Erhaltung des Friedens bezeichnete, sollte sich fragen, weshalb in den traditionsreichen westlichen Demokratien rund 90 Prozent der Bürger den Einsatz ihrer Soldaten im Kampf als Dienst für Recht und Freiheit nachhaltig begrüßt haben.“ Stoltenberg will angesichts der sprunghaft gestiegenen Zahl der Kriegsdienstverweigerungen während des Golfkrieges einen weitverbreiteten „Friedensrigorismus“ ausgemacht haben. Politik und Gesellschaft müßten sich nun fragen, ob der auf der Verantwortungsethik beruhende Militäreinsatz als letztes Mittel zur Eindämmung einer Aggression oder zur Wahrung des Völkerrechtes hinreichend deutlich vertreten wurde.

Die SPD-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Renate Schmidt hielt gestern dagegen, daß es keinesfalls mit „weinerlichen Stimmen“ zu tun habe, wenn junge Menschen „vor dem Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen ihre Entscheidung, ob sie den Kriegsdiesnt verweigern wollen, noch einmal überdenken“. Im Gegensatz zu Stoltenberg, der den Wehrunwillen beklagte, wertete sie es als „positiv, wenn die Jugend unseres Landes von der Politik verlangt, Konflikte anders zu lösen als durch militärische Gewalt“.