Angst vor dem Sozialfall »Mieter«

■ Abgeordnetenhaus debattierte über Wohnungsnot und Mietenexplosion vor allem im Ostteil Berlins

Rathaus Schöneberg. 200.000 Ostberliner Familien werden zu Wohngeldempfängern, wenn, wie von der Bundesregierung beschlossen, die Mieten erhöht werden. Das beträfe ein Drittel der dortigen Bevölkerung. Dieses Wohngeld werde 400 bis 500 Millionen Mark jährlich kosten, berichtete Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) gestern vor dem Abgeordnetenhaus. Viele Mieter würden darüber hinaus in die Sozialhilfe abgedrängt. Die Vorstellungen der Bundesregierung seien sozial unausgewogen und für die Verwaltung nicht umsetzbar, warnte Nagel. Auch der Regierende Bürgermeister Eberhardt Diepgen (CDU) hielt die zum 1. August geplante Verdrei- bis Vervierfachung der Miete für »nicht praktikabel«. Sein Parteikollege Heinz-Viktor Simon meinte hingegen, der Steuerzahler dürfe nicht für die Instandsetzung der »in 45 Jahren real existierenden Sozialismus zerfallenen« DDR-Bauten aufkommen, denn da würde »der kleine Arbeiter in Westdeutschland die Mieten der DDR-Bonzen bezahlen«, sagte Simon. Und dann, etwas widersprüchlich: »Die Wohnungen der roten Socken waren immer in Ordnung, die der Menschen fielen auseinander.«

Otto Edel von der SPD sieht den »sozialen Frieden« gefährdet. »In einem der reichsten Länder der Welt sind die Obdachlosenunterkünfte überfüllt«, sagte er. Die Wohnungswirtschaft in Ost-Berlin stehe vor dem Kollaps, das sei offenbar das Kalkül der Bundesregierung. In West-Berlin bekomme man keine Neubauwohnung mehr unter 20 Mark pro Quadratmeter, Schmiergelder von Zehntausenden von Mark seien üblich. Edel forderte, die Strafverfolgungsbehörden müßten genügend Mittel und Personal gegen betrügerische Praktiken im Wohnungsbereich bekommen.

Der FDP-Abgeordnete Gerhard Schiela wandte sich gegen »Gleichmacherei« bei den Ostmieten. Von einer »riesengroßen Verunsicherung« der Ostmieter sprach die PDS- Abgeordnete Martina Michels. Und Elisabeth Ziemer von der Fraktion Bündnis 90/Grüne warnte vor den Folgen der Mieterhöhungen in Ost- Berlin: »Die Ämter in Berlin und Brandenburg werden es gar nicht schaffen, das Wohngeld halbwegs rechtzeitig auszuzahlen.« Die von der Bundesregierung geplante Instandsetzungsumlage sei ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, denn in West-Berlin seien die meisten Häuser ja auch mit öffentlichen Geldern instand gesetzt worden. Ziemer empörte sich darüber, daß ein Antrag ihrer Fraktion abgelehnt worden sei. Danach hätten sich die Senatsparteien CDU und SPD bei der Bundesregierung für eine Abschaffung der Instandsetzungsumlage einsetzen sollen. esch