Regime in Addis Abeba in Bedrängnis

USA wollen Teil des Botschaftspersonals abziehen/ Nach gescheiterten Friedensgesprächen fordern Eritreer weiter Waffenstillstand und Volksbefragung unter UNO-Aufsicht  ■ Von Martin Zimmermann

Nach militärischen Erfolgen der tigrischen Rebellen in Äthiopien haben die USA angekündigt, in den nächsten Tagen einen Teil ihres Botschaftspersonals aus Addis Abeba abzuziehen. Berichten zufolge ließen daraufhin auch andere westliche Botschaften durchblicken, sie würden dem amerikanischen Schritt folgen. Die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) soll die Nordwestprovinzen Gondar und Gojjam vollständig kontrollieren und nurmehr 150 km vor der Hauptstadt stehen. Auch die Rebellen in Eritrea haben nach amerikanischen Angaben zuletzt wesentliche Erfolge erzielt. Alle Straßen von Addis Abeba Richtung Norden sind gesperrt. Nachdem es den Befreiungskämpfern der Äthiopischen Volksdemokratischen Revolutionären Front (EPDRF, ein Zusammenschluß mehrerer äthiopischer Oppositionsgruppen) in der letzten Februarwoche gelungen war, die „Lebensader“, den Weg von Addis zum am Roten Meer gelegenen Hafen Asab, zu unterbrechen, wird die Lage für das Mengistu-Regime immer bedrohlicher. Seine Armee, mit 330.000 Mann die stärkste Schwarzafrikas, ist nach jahrelangen Kämpfen schwer demoralisiert.

Nicht erst seit dem erneuten Aufflammen der Kämpfe suchte Mengistu Haile Mariam, der seit dem Militärputsch 1974 an der Spitze des äthiopischen Regimes steht, nach neuen Verbündeten. Vor dem Hintergrund des Auseinanderbrechens der seitherigen östlichen „Sozialistischen Verbündeten“ sowie dem Auslaufen von Beistandsverträgen mit der Sowjetunion kündigte Mengistu bereits letztes Jahr politische Reformen an. Aus dem strammen „Marxisten“ wurde flugs ein „Demokrat“. Die Abkehr vom „äthiopischen Sozialismus“ leitete Mengistu mit einer Intensivierung der Beziehung zu Israel ein. Für seine Zustimmung zur Ausreise äthiopischer Juden nach Israel — ihre Zahl hat bis heute etwa 15.000 erreicht — erhielt das Regime in Addis Abeba Waffenhilfe. Als nächster Schritt folgte die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel. Äthiopisches Militär wird von Israelis trainiert, und zwischen beiden Ländern gibt es Verhandlungen über die israelische Nutzung eines Militärstützpunktes im Roten Meer. Zuletzt hatten wöchentlich 1.000 Juden Äthiopien verlassen. Um Israel zu weiteren Waffenlieferungen zu überreden, stoppte Mengistu wiederholt das Ausreiseprogramm, zuletzt in dieser Woche, wie aus Kreisen des World Jewish Council bekanntwurde. Doch nicht allein die Rolle des Waffenlieferanten macht Israel für den bedrohten Diktator so interessant. Vor allem erhofft sich Addis Abeba über Israel eine Verbesserung des Kontaktes zur US-Regierung.

Doch es scheint immer unwahrscheinlicher, daß Mengistu für die USA und die westlichen Länder attraktiv sein könnte. Äthiopien ist ein zerrissenes Land. Bürgerkrieg in nahezu allen Provinzen, und der 29jährige Krieg um Eritrea ist keinesfalls die Folge arabischer Einmischungspolitik, wie Mengistu dies darstellt, sondern die Ernte einer jahrzehntelangen brutalen Diktatur. Äthiopien ist der größte Flüchtlingsproduzent auf dem afrikanischen Kontinent. Durch ihre rigorose Nationalitätenpolitik versucht die Zentralregierung, ganze Volkstämme ihrer nationalen und kulturellen Identität zu berauben.

Die westliche Unterstützung für das Mengistu-Regime birgt noch mehr politischen Sprengstoff: Zu den inneräthiopischen Menschenrechtsverletzungen gehört ein weiteres Problem, vor dem die Welt die Augen verschließt: So wie der Irak Kuwait völkerrechtswidrig besetzt hat, so annektierte Äthiopien 1962 unter Bruch der UN-Resolution 390 A/V Eritrea.

Kein Land der Welt hat damals gegen diesen völkerrechtswidrigen Militärakt protestiert. Bei den Friedensverhandlungen zwischen der äthiopischen Regierung und den Rebellen Ende Februar schlug der amerikanische Vermittler Cohen die Rückkehr zur Föderation und die Abhaltung eines Referendums „in der Zukunft“ vor. Die Gespräche wurden erfolglos abgebrochen. Die eritreische Seite blieb bei ihrem Vorschlag: Waffenstillstand und Volksbefragung unter Aufsicht der UNO. Auf dem Prüfstand steht deshalb auch die UNO. Soll der Eindruck sich nicht festigen, das Völkerrecht gelte nur für Großmächte, Erdölpotentaten und deren Interessen, dann muß das Eritrea-Problem in der UNO auf die Tagesordnung.