Skepsis gegenüber „Politik der Versuchsballons“

Reaktionen von Palästinensern aus der Westbank auf die Äußerungen Abu Sharifs  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Ein „Sturm im Wasserglas“, eine „Politik der Versuchsballons“ — das ist die Reaktion vieler Palästinenser in Ostjerusalem auf die jüngsten Äußerungen des Arafat-Beraters Bassam Abu Sharif. Seine später präzisierten und schließlich dementierten Erklärungen über eine neue Friedensinitiative der PLO werden hier für einen Versuchsballon gehalten. Angeblich soll der Arafat-Berater „territoriale Konzessionen“ an Israel in Aussicht gestellt haben, was allerdings von der PLO-Führung umgehend zurückgewiesen wurde.

Die Episode zeigt, daß die PLO neue Vorschläge unterbreiten will, die sich jedoch noch in einem frühen Stadium befinden, und daß es unter den verschiedenen palästinensischen Fraktionen unterschiedliche Vorstellungen über die nächsten Schritte gibt. Palästinensische Persönlichkeiten aus den besetzten Gebieten verwiesen lieber auf das Memorandum, das sie US-Außenminister James Baker am Dienstag überreichten. In diesem Memorandum wird vor allem auf die Einhaltung der einschlägigen UN-Resolutionen verwiesen. Dieser Text hatte die offizielle Billigung der PLO und der Mehrheit der palästinensischen Führung in Jerusalem.

Für Ghassan al Khatib, Lehrbeauftragter an der palästinensischen Bir-Zeit-Universität, enthalten die Vorschläge Abu Sharifs nichts Neues. Auch er glaubt, daß die Grenzen des palästinensischen Staates mit Israel aushandelbar sein müßten. Doch für al Khatib, der der Kommunistischen Partei nahesteht, ist dies nicht das Hauptproblem. Letzte Woche veröffentlichte er in der Zeitung 'Al Quds‘ einen Artikel über die Notwendigkeit eines „neuen Denkens“ unter den Palästinensern, ein Text, der allerdings zweimal geändert werden mußte, ehe er nicht mehr von der Zensur beanstandet wurde. „Unsere palästinensische Politik sollte das Ergebnis freier Diskussion sein“, schrieb er, „künftige Erfolge hängen von der Wirksamkeit unseres politischen Auftretens ab; wir müssen in der Lage sein, politische Initiativen zu ergreifen, wir müssen geben und nehmen, und wir müssen uns von der allgemeinen Ebene hin zum Konkreten bewegen.“

Khatib, der zu denjenigen gehört, die seit letzten August die Palästinenser davor warnten, ihre Hoffnungen auf Saddam Hussein zu setzen, plädiert für eine breite offene Debatte unter den Palästinensern und der PLO im In- und Ausland. Vor allem müsse die Stimme der Palästinenser in den besetzten Gebieten ihren freien Ausdruck finden, ehe die PLO in Tunis über neue Initiativen entscheidet — auch wenn dies unter den Bedingungen der Besatzung schwierig ist und Khatib diesen Diskussionsprozeß in Übereinstimmung mit der Führung der PLO und im Rahmen ihrer Institutionen angesiedelt sehen möchte.