Der Emir kehrt zurück in ein verändertes Land

■ In Kuwait wächst die Kluft zwischen Zurückgebliebenen und Rückkehrern/ Die gemeinsame Erfahrung der Besatzung lockerte viele soziale Tabus: „In der Besatzung waren wir alle gleich“/ Wechselseitiges Unverständnis bestimmt die Situation im Lande

Kuwait-Stadt (dpa/wps/taz) — Nach einem über siebenmonatigen Exil und einigem Zögern ist der Herrscher von Kuwait, Scheich Jaber al Ahmad al Jaber as Sabah gestern in seine Heimat zurückgekehrt. In der Zeit seiner Abwesenheit hat sich das als Familienbesitz geführte Land drastisch verändert. Einmal rein äußerlich, durch die den Himmel verdunkelnden brennenden Ölquellen und anderen Zerstörungen aus der Besatzungszeit, zum anderen aber auch in den gesellschaftlichen Beziehungen im Lande. Vor allem zwischen den während der Besatzung im Lande Gebliebenen und denjenigen, die ins Exil gegangen sind, zeigt sich heute eine zunehmend größer werdende Kluft, durch die traditionelle gesellschaftliche Verhaltensweisen in Frage gestellt werden.

Eine kleine Szene zwischen zwei Frauen skizziert eine Grundstimmung, die offenbar viele Kuwaitis ergriffen hat, die während der Invasion im Lande geblieben sind, und bei der die Frau des kuwaitischen Kronprinzen offen ausgelacht wurde: Gerade erst aus dem Exil zurückgekehrt, hatte sie vor Frauen in einer Wohnsiedlung gestöhnt, wie schwer es die Geflüchteten im Ausland gehabt hätten. Ganz gegen das Protokoll unterbrach eine Frau die Kronprinzen-Gattin und sagte ihr, sie solle lieber den Mund halten: Wer denn sieben Monate lang habe zittern müssen, ob die irakischen Besatzer nicht am nächsten Tag den Mann oder den Sohn abführen?

Eine andere Szene: Zwei Tage nach der Befreiung erfuhr Haya Mughni, daß ein Schweizer Arzt des Roten Halbmondes eine Assistentin sucht. Ein kuwaitischer Kollege, der die letzten Monate in London verbrachte, lehnte ihr Jobersuchen mit den Worten ab: „Es tut mir leid, aber wir hätten lieber einen Mann als eine Frau.“ Haya Munghi war erschüttert und sah sich außerstande, ihrem männlichen Studienkollegen zu erklären, was in der Zeit seiner Abwesenheit geschehen war: die Nächte, in denen sie mit Männern, in deren Gesellschaft sie sich vorher nie alleine aufgehalten hätte, zusammen Whiskey trank, um die Angst zu überwinden; die Tage gemeinsamer Aktivitäten mit Männern, Fundamentalisten, die sich nicht an ihren engsitzenden Jeans störten, die unter ihrem weiten Mantel zu sehen waren, als es darum ging, Pläne für die Verteilung von Lebensmitteln in der Nachbarschaft auszuarbeiten; die guten Freunde, die sie mittlerweile auch unter schiitischen Kuwaitis hat und die sie bei den Bemühungen kennenlernte, das Schicksal von Verschwundenen herauszufinden. „Unter der Besatzung waren alle gleich“, sagt Munghi, die Soziologin. „Wir brauchten alle Wasser und etwas zu essen. Es gab keine Trennung zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Kuwaitis und Palästinensern.“

Diese Kluft macht sich täglich in vielen weiteren kleinen Szenen bemerkbar. Es sei schwer, den Rückkehrern klarzumachen, warum so viele alte soziale Tabus gefallen seien, heißt es nun. Die Kluft schlägt sich auch in Vorbehalten gegen die Regierung nieder, die monatelang im saudischen Taif den Wiederaufbau Kuwaits plante. Die Regierung hätte die eigenen Landsleute fragen sollen, die über ihre selbst geschaffenen Kanäle die Versorgung weitgehend organisierten, anstatt Lastwagen mit Vorräten zu schicken, die gar nicht gebraucht wurden. „Die Gesellschaft ist in zwei Teile gespalten, diejenigen, die im Land geblieben sind, und diejenigen, die im Ausland waren“, meint Nasser Asfour, ein bekannter Geschäftsmann. „Wir haben uns geändert, ich glaube, jeder, der hiergeblieben ist, hat sich geändert. Aber sie haben sich nicht verändert.“

Umgekehrt haben Kuwaits, die jetzt zurückkehren, das Gefühl, als würden ihre Bemühungen um die Mobilisierung der internationalen Öffentlichkeit in der Zeit des Exils von den Zurückgebliebenen nicht honoriert: immer wieder auf das Schicksal der Kuwaitis hinzuweisen, die Allianz zusammenzuhalten, die UNO-Resolutionen durchzusetzen, auf einer möglichst schnellen militärischen Lösung zu beharren, und gegenüber den Sabahs auf demokratischen Reformen zu insistieren.

„Während der Besatzung waren wir nicht auf irgendwelche Exilanten angewiesen“, meint dagegen ein Professor der Universität von Kuwait-Stadt. „Wir haben unseren eigenen Müll verbrannt und unser eigenes Brot gebacken. Wir haben vieles gelernt: unsere Wasserpumpen zu reparieren, zu kochen, Lebensmittel anzubauen. Das war eine Lehre, und wir sollten daraus den Nutzen ziehen. Die Lehre lautet, daß wir uns auf uns selbst verlassen müssen. Aber die Kuwaitis im Ausland haben das nicht gelernt, das macht mich besorgt.“ Selbstkritisch fügt er hinzu: „Kuwaitis waren gewöhnt, zwei bis drei Dienstmädchen zu haben, Köche und Chauffeure. Wird das in Zukunft so weitergehen? Ich hoffe nicht, denn damit wurden die Leute in diesem Land wieder ganz schön faul.“ Während viele Rückkehrer offenbar davon ausgehen, daß sie nun zum alten Lebensstil zurückkehren könnten, erwarten zahlreiche Zurückgebliebene nun grundlegende Änderungen.