INTERVIEW
: „Bisher sind wir nur Leidtragende — jetzt brauchen wir Mitsprache“

■ Werner Hermann war 24 Jahre lang heroinabhängig — seit zwei Jahren bekommt er Methadon

Vierundzwanzig Jahre seines Lebens hat sich der 48jährige Berliner Werner Hermann Heroin gespritzt. Vor acht Jahren infizierte er sich im Knast in Berlin-Tegel durch eine unsaubere Spritze mit dem HIV-Virus, seit zwei Jahren wird er mit Methadon substituiert. Jetzt ist er Mitglied des Sprecherrates von JES, einer bundesweiten Initiative von Junkies, Ex-Usern und Substituierten (mit Methadon Behandelten) für Selbstbestimmung und akzeptierende Drogenarbeit, die auch den Berliner Kongreß unterstützte.

taz: Eröffnet dieser Kongreß für dich neue Perspektiven?

Werner Hermann: Ja, natürlich, allein durch das große Interesse. Wir als Gebraucher konnten hier mal mit den richtigen Leuten ins Gespräch kommen. Bisher war es doch so, daß die persönlichen Kontakte mit Leuten der Drogen- oder Aids-Hilfe wegen der bestehenden Vorbehalte gegen uns sehr eingeschränkt waren. Wir müssen — auch in der Bevölkerung — wahrgenommen werden als die Menschen, um die es hier geht. Bisher sind wir nur Leidtragende, jetzt brauchen wir Mitsprache. Man kann natürlich sagen: Selbst schuld, daß ihr seid, was ihr seid. Aber es waren ab einem bestimmten Punkt eben zwingende Bedingungen, die mich immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz gebracht haben, zum Gegenstand von Strafverfolgung, Strafjustiz machten, mein ganzes Leben in diese Richtung geschoben haben.

Welche Bedingungen waren für dich ausschlaggebend?

Die Bedingungen der Sucht. Einbrechen, Dealen oder Stehlen, ich habe alles gemacht. Entsprechend oft bin ich im Gefängnis gelandet, insgesamt war ich sieben Jahre im Knast.

Was hat dich dazu bewogen, auszusteigen und dich substituieren zu lassen?

Ich habe keine Venen mehr. Ich bin nicht mehr in der Lage, täglich ein paarmal zu injizieren. Und ich bin ja HIV-infiziert. Ich war damals auf der Flucht, mit 'nem Haftbefehl, ohne Wohnung und gesundheitlich recht marode. Und mit 48 Jahren will man einfach in ein ruhigeres Fahrwasser kommen. Auf der Szene ist es einfach auch sehr anstrengend.

Viele Substituierte vermissen die Euphorie, den „Kick“, den sie nur durch den Stoff gekriegt haben, und greifen deshalb parallel weiterhin zu Drogen wie Heroin, Medikamenten oder Alkohol. Wie holst du dir deinen Kick?

Ich finde den in dieser Arbeit hier. Ich wende täglich zehn bis zwölf Stunden auf, um das hier voran zu bringen — eben JES. Die Befriedigung ist, kreativ sein zu können, gute Leute zu treffen. Drogenbeigebrauch aus dem Opiatspektrum kommt für mich nicht mehr in Frage — Methadon ist für meinen Gesundheitszustand angemessen.

Was ist das Ziel deiner Arbeit?

Ich will, daß das Betäubungsmittelgesetz geändert wird. Daß sich das Dogma der Drogenpolitik ändert. Daß man Drogen gebrauchen kann, ohne zum Täter zu werden. Ich will eine Legalisierung der Drogen, ich will menschliche, nichtdiskriminierte Lebensbedingungen für Drogengebraucher. Ich will nicht, daß es unser Schicksal ist, das Feindbild Nummer eins zu sein.

Wir sind so eine kleine Gruppe, auf die Gesamtbevölkerung gesehen. Daß Kriminalität immer im Zusammenhang mit Drogengebrauch erscheint, ist meiner Meinung nach die Folge des Drogenverbots und der Schwarzmarktbedingungen. Ich finde es wichtig, das abzuschaffen, ich bin halt immer ein moralischer Mensch gewesen — das kann man auch als Drogengebraucher sein. Interview: Martina Habersetzer