Verbotspolitik gescheitert

Bundesweiter Drogenkongreß: Aus ökonomischer und juristischer Sicht hätte nur die Liberalisierung bislang illegaler Drogen Erfolg  ■ Aus Berlin Martina Habersetzer

„Für Methadon ist gesorgt“, versprach ein Plakat gleich neben dem Organisationsbüro in der Berliner Technischen Universität. Jeden Morgen konnten sich die DrogengebraucherInnen, die an dem Kongreß „Leben mit Drogen“ teilnahmen, gegen Vorlage eines Rezepts in einem Ostberliner Krankenhaus ihre tägliche Dosis des Ersatzstoffes abholen, und sich so — ohne schmerzhafte Entzugserscheinungen — als ZuhörerInnen oder MitorganisatorInnen beteiligen. Der Bundesverband „für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik“ (akzept e.V.) hatte es diese Woche geschafft, über 500 TeilnehmerInnen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Berlin zu locken. Mit dabei: MitarbeiterInnen professioneller Drogen- und Aids- Hilfe-Gruppen, Mediziner und Juristen. Aber vor allem auch mindestens hundert DrogengebraucherInnen und auf Methadon umgestiegene Abhängige, sogenannte Substituierte.

Vier Tage lang schlenderten sie diskutierend durch die „wissenschaftlichen“ Hallen, berichteten in Workshops von ihren Erfahrungen und versorgten interessierte TeilnehmerInnen an eigens aufgebauten Ständen mit Informationsmaterial. Wenige Schritte neben dem Kaffeeautomaten der Berliner Selbsthilfegruppe „Fixpunkt“ tauschte oder verkaufte die Deutsche Aids-Hilfe für 50 Pfennig neue Einwegspritzen, Poster warben für den Gebrauch von Kondomen und sauberen Spritzbestecken.

Alle Teilnehmer sprachen sich zum Abschluß des Kongresses für eine Entkriminalisierung des Drogenkonsums sowie neue Konzepte humaner Drogenpolitik aus und forderten niedrigschwellige Angebote der Ersatzdroge Methadon. In den Veranstaltungen dagegen wurde heftig gestritten. So wies der Bremer Juraprofessor Lorenz Böllinger nach, daß das geltende Betäubungsmittelgesetz (BtmG) eindeutig gegen die deutsche Verfassung verstoße: Verschiedene Grundrechte würden durch seine Anwendung kontinuierlich verletzt, darunter das Recht auf Wahrung der Menschenwürde und Entfaltungsfreiheit.

Durch die ungleiche Behandlung von Konsumenten legaler Drogen wie Alkohol einerseits und Gebrauchern illegaler Drogen wie Heroin oder Cannabis andererseits sei auch „das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz“ nicht mehr gewahrt. Vor allem bemängelte Böllinger jedoch die Unverhältnismäßigkeit der Mittel. Die „militante Drogenpolitik“ der letzten Jahre habe durch verstärkte Strafandrohungen „den Drogenhandel nicht nur nicht eingedämmt“, sie sei sogar selbst zu „einer wesentlichen Bedingung dessen geworden, was sie zu bekämpfen vorgibt“: Zunahme des Konsums illegaler Drogen, soziale Verelendung der Drogenabhängigen, immense Steigerung der Todesfälle durch Überdosen. Böllinger meinte, aus verfassungsrechtlicher wie kriminalpolitischer Perspektive sei eine staatlich kontrollierte Drogenfreigabe vonnöten. Davon angespornt, will die Deutsche Aids-Hilfe vielleicht sogar eine Verfassungsklage in Karlsruhe gegen das geltende BtmG einreichen.

Interessant war die ökonomisch- orientierte Argumentation des Bochumer Wirtschaftsprofessors Karl- Hans Hartwig: Die Verbotspolitik mißachte die Grundprinzipien der Marktlogik und sei daher von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gegen das Kalkül der Milliardenumsätze und Milliardengewinne im illegalen Drogengeschäft lasse sich mit keiner noch so ausgeklügelten Fahndungsmethode ankommen. Die Folge seien vor allem soziale Kosten, die durch die Geldbeschaffungsnot der Süchtigen entstünden: Prostitution, Drogenhandel und vor allem die Beschaffungskriminalität. Ohne auf die ethischen Gründe für eine staatlich kontrollierte Drogenabgabe einzugehen, nannte Hartwig die ökonomischen: Durch eine Liberalisierung würde der Drogenmarkt gespalten in ein legales, staatliches System, in dem sich Süchtige zu niedrigen Preisen versorgen können und in ein illegales, nichtstaatliches System, in dem der Handel weiterhin verboten bleibt. Dies entzöge dem international organisierten Verbrechen nicht nur die Geschäftsbasis, sondern entschärfe auch die Aids- und Drogentoten-Problematik. Schließlich werde die Dynamik des Drogenmarktes gebrochen, dessen Profit darin bestünde, andere süchtig und somit zu langfristigen Geschäftspartnern zu machen. In einer zweiten Phase könnten die Drogenkonsumenten Zwangsmitglieder einer öffentlich-rechtlichen Genossenschaft werden. Die Einnahmen durch den staatlichen Verkauf würden zugunsten der Versorgung ihrer Mitglieder verwendet — die Folgekosten für die Solidargemeinschaft würden erheblich reduziert. Allerdings sind solche Szenarien nur in einem Staatenverbund denkbar, der recht unwahrscheinlich scheint.

Einig waren sich die TeilnehmerInnen, daß das Prinzip des „Mehr“, wie es im derzeitigen Drogenkrieg vertreten wird — mehr Bestrafung, mehr Polizei, mehr Überwachung — keinen Erfolg verspricht. Die vorgeschlagenen Alternativen gingen von Entkriminalisierung der Drogengebraucher über eine schrittweise Liberalisierung bis hin zur radikalen Legalisierung. Ein Problem ist immer noch, daß bisher keine Vergleichsstudien zwischen Heroingebrauchern, die ihren Stoff unter ärztlicher Kontrolle beziehen, und Substituierten ermöglicht wurden. „Die Drogenpolitik“, so der akzept-Vorsitzende Edwin-Scholz, „wurde auf politischer Ebene viel zu lange den Konservativen überlassen.“