Die große Toilettenreform

Die chinesischen Behörden haben endgültig die Schnauze voll. Der Frühjahrsputz wird in diesem Jahr ein Rundumschlag. Zuerst einmal sind die Ratten dran. Jährlich fressen Ratten im Reich der Mitte 70 Millionen Tonnen Gras, mit denen andernfalls 50 Millionen Schafe hätten ernährt werden können. Die Chinesen setzen jetzt bei der Bekämpfung der gierigen Nager biologische Vernichtungsmittel ein: Falken. Die ersten Tests mit den Raubvögeln als Ratten- Killer waren vielversprechend.

Das zweite große Problem sind die öffentlichen Toiletten. Während der Kulturrevolution galten private Toiletten als Zeichen „bürgerlicher Dekadenz“. Die Roten Garden Maos machten aus vielen dieser „Luxusartikel“ Kleinholz. Heute verfügen in ganz China mit einer Milliarde Einwohnern nur 20 Millionen Haushalte über ein eigenes WC, davon sind allerdings noch 8,5 Millionen baufällig oder außer Betrieb. Die meisten Chinesen erledigen ihr Geschäft in öffentlichen Toiletten. Ein einfaches Gebäude aus Blech oder Ziegeln mit Löchern in regelmäßigen Abständen ist die ganze Vorrichtung. Keine Wand trennt die einzelnen Benutzer voneinander, dafür fallen Schwärme von bösartigen Mücken, die die Zweibeiner in solch ausgelieferter Stellung besonders gerne traktieren, über sie her. Wasser gibt es nicht und auch kein System zur Verarbeitung der Exkremente. Diese werden lediglich eingesammelt und als hochwertiger Dünger auf die Felder gebracht. Ähnlich wie vor zweihundert Jahren, als jede Familie für einen Eimer des „kostbaren Naturprodukts“ Früchte und Gemüse erhielt. Ein öffentliches Örtchen zu finden ist nicht weiter schwierig. Man richtet sich nach der Nase, denn ein bestialischer Gestank verrät den Standort des Aborts schon aus weiter Entfernung.

Das wird jetzt alles anders, verspricht die Regierung. Die stinkenden Häuschen sollen renoviert oder gleich ganz beseitigt werden, und jede Wohnung soll in den Genuß eines modernen Klos kommen. Die große Toilettenreform wird in der Presse schon als „die vierte Revolution in China“ gefeiert, gleichbedeutend mit der Landreform und der Einführung von Strom und fließendem Wasser in den ländlichen Gebieten.

Touristen werden in China beim Besuch einer öffentlichen Toilette neben Gestank und Mücken auch noch mit der Neugier konfrontiert. Sobald ein Fremdling sich über eines der Löcher hockt, unterbrechen die Einheimischen ihre WC-Gespräche und schauen ihm, auf der Suche nach irgendeiner Besonderheit, ganz ungeniert zu. Karl Wegmann