Gefährliche Mischung: Moral und Mercedes

■ Alles ist wieder gut. Nach Golfkrieg und dem Milliardenloch im Osten wird Bonn wieder seinem Ruf als Bundesdorf gerecht: Der Benzinverbrauch der Familie Süssmuth wurde innerhalb weniger...

Gefährliche Mischung: Moral und Mercedes Alles ist wieder gut. Nach Golfkrieg und dem Milliardenloch im Osten wird Bonn wieder seinem Ruf als Bundesdorf gerecht: Der Benzinverbrauch der Familie Süssmuth wurde innerhalb weniger Stunden zum Stoff, aus dem die Dramen sind. Und ganz ohne Verschwörung hinter konservativen Kulissen?

Tritt sie zurück? Tritt sie nicht zurück? Wenn sie zurücktritt: wann? Und warum? Weil man sie zwingt? Weil sie selbst es will? Seit Mittwoch ranken sich in Bonn immer schneller immer mehr Spekulationen um Rita Süssmuth, die Bundestagspräsidentin. Freilich, die sichtbaren Wurzeln dieses Gestrüpps sind schwach. Zu schwach eigentlich für diesen Medienrummel, zu schwach auch für einen möglichen Rücktritt. Daß aus der politischen Lapalie „Dienstwagenaffäre“ das politische Thema dieser Tage geworden ist, hat folglich wenig mit der Sache an sich zu tun.

Die Sache an sich: Präsidentinnengatte Hans Süssmuth soll einen Mercedes 420 SEL privat nutzen, der bis 1988 dem damaligen Bundestagspräsidenten Phillip Jenninger als Repräsentationskarosse diente. Das berichtet der 'stern‘. Überdies, so das Magazin weiter, habe Herr Süssmuth über den Fahrer seiner Frau die monatlichen Benzinrechnungen zwischen 200 und 300 Mark abgerechnet. Erst bei der Februar-Abrechnung über 219 Mark für Hans Süssmuth habe ein Sachbearbeiter des Bundestages sich geweigert zu unterzeichnen. Neben diesem Mercedes stehen Rita Süssmuth noch zwei andere Wagen ständig zur Verfügung — inklusive Fahrer.

So weit, so banal und so üblich in Bonn. Vielleicht sogar: so weit, so legal. Denn bereits am Dienstag verlautete aus dem Rechnungsprüfungsausschuß (ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses im Bundestag), eine erste Prüfung der einschlägigen Richtlinien habe ergeben, daß es bei einigermaßen großzügiger Auslegung „im Rahmen des rechtlich Möglichen“ liege, wie Hans Süssmuth den Dienstwagen genutzt habe. Diese Ansicht tat gestern auch der sozialdemokratische Vorsitzende des Haushaltsauschusses, Rudi Walter, kund.

Nun wird die Verwaltung des Bundestages am heutigen Freitag dem Haushaltsausschuß einen Bericht über die Affäre vorlegen. Das teilte gestern Karl Deres, Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschusses, mit. Möglicherweise, so Deres, werde man auch den Bundesrechnungshof einschalten. Das hat inzwischen auch der „Bund der Steuerzahler“ gefordert. In einem Gespräch mit dem Kölner 'Express‘ sagte Dieter Lau, Vizepräsident der Organisation, er kenne keine Richtlinie, die eine derartige Privatnutzung ohne Kostenerstattung zulassen würde. Überdies meinte er zu Rita Süssmuth, ihr Verhalten sei ein „neuerliches Beispiel für die Selbstverständlichkeit, mit der Politiker in die Steuerkassen greifen“.

Eine Politikerin greift in die Steuerkasse. Daß daraus ein solcher Skandal wird, liegt an dieser Politikerin — jedenfalls hauptsächlich.

Freilich: Nach dem Unternehmen Steuerlüge liegen die Nerven der Veröffentlicher bloß. Auch deswegen wächst sich diese Affäre aus. Freilich: Rita Süssmuth hat sich in dieser Sache bisher ungeschickt verhalten. Am Dienstag ließ sie ihren Sprecher erklären, es sei unstrittig und zweifellos in Ordnung, daß und wie ihr Ehemann den Mercedes genutzt habe: mandatsbedingt, für Fahrten im Auftrag der Bundestagspräsidentin, die sich außerdem hierfür Geld habe abziehen lassen. Und auch Mittwoch abend machte sie es sich zu einfach. Mit dünner Stimme erklärte sie trotzig in ZDF-Kameras hinein, sie und ihr Mann hätten sich nicht anders verhalten, als alle Minister und Staatssekretäre. Und: „Wir haben seit fünf Jahren keine fünf Wochen Urlaub gemacht, kaum ein freies Wochenende, ich frage mich wirklich, in welchen privaten Zeiten eigentlich diese Fahrzeuge privat genutzt werden sollten.“

Dennoch: Einen anderen Politiker würde die Angelegenheit nicht derart ins Wanken bringen. Daß Rita Süssmuths Stuhl nun wackelt, hat mit ihrer Person zu tun. In ihrer eigenen Partei, besonders aber in der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, ist die Bundestagspräsidentin, Vorsitzende der Frauengruppe in der Fraktion und Mitglied des CDU-Bundesvorstandes, nicht annähernd so beliebt, wie es meist scheint. Dem rechten Flügel der Union gilt sie als links abweichend. Der eher linke Flügel nimmt es ihr übel, daß sie Kämpfe oft nur ankündigt und dann nicht ausficht.

Zwar fährt der rechte Unionsflügel — noch — keine Kampagne gegen die Bundestagspräsidentin. Auch hat, abgesehen von einem einflußlosen Abgeordneten, noch keiner Süssmuths Rücktritt gefordert. Nicht wenige Rechte lachen sich jedoch auch und gerade den Journalisten gegenüber ins Fäustchen. Helmut Kohl, ebenfalls kein Süssmuth- Freund, hielt zunächst still. In Gesprächen mit der Bundestagspräsidentin soll er sich sehr zurückgehalten haben: keine Aufforderung, zurückzutreten, aber auch keine ernsthafte Ermutigung, durchzuhalten.

Allerdings: Auch wenn Rita Süssmuth wegen der Dienstwagenaffäre nicht zurücktritt — politisch ist und bleibt sie nun angeschlagen. Die Bundestagspräsidentin und CDU- Politikerin ist im Kern ihrer politischen Substanz getroffen: in ihrem Image als Verfechterin der politischen Substanz schlechthin. Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Bescheidenheit, Redlichkeit — vor allem diese Tugenden waren es, die Süssmuth stets predigte. In Zukunft wird sie das nicht mehr können. Ferdos Forudastan