Therapeut als sublimierter Mann?

■ Von der therapeutischen Abstinenz und der Übertragungsliebe

Der Psychoanalytiker Dr.ans Haackist Leiter des Institutes für analytische Therapie und psychosomatische Medizin beim Krankenhaus Bremen Ost.

taz: Es ist in Therapien keine Seltenheit, daß Klientinnen sich in ihren Therapeuten verlieben.

Hans Haack: Wobei ich ergänzen möchte, daß dieses Phänomen der Übertragung, das heißt auch der gefühlshaften Einstellung zum Therapeuten, hier deutlich anders und auch gewünschter ist, als in jeder anderen psychologischen oder medizinischen Behandlung. Die Psychotherapie arbeitet mit diesem Gefühl. Denn wenn jetzt diese sogenannte Übertragungsliebe im therapeutischen Prozeß entsteht, dann soll sie entstehen, um geklärt werden können zum Beispiel hinsichtlich ihrer Irrealität. Es soll der Analysierten verdeutlicht werden, daß sie hier Gefühlskraft auf ein Ziel richtet, das ihr Kraft für einen wirklichen Partner entzieht. Und das ist zugegebener Maßen die Stelle, wo es bei Verletzung der therapeutischen Abstinenz zu sexuellen Mißbrauch kommt.

Diese Umdeutung ist aber doch eine schwierige Gratwanderung, wenn die Klientin das nicht als Zurückweisung erleben soll.

Genau das verlangt der therapeutische Prozeß, weil da die therapeutische Ausbildung zum Schwur kommt. Die Patientin kommt, um mehr von sich zu erfahren. Dann kommt die für die Patientin als real empfundene Verliebtheit und da kündigt sie in der therapeutischen Situation den Kontrakt, nach dem Motto: darüber will ich jetzt gar nicht mehr erfahren, das will ich jetzt leben. Als Gefühl, nicht immer als konkrete Handlung. Das ist in jeder Therapie eine durch die therapeutische Erfahrung vorsichtig zu behandelnde Situation.

Therapeuten, die des Mißbrauchs beschuldigt werden, behaupten immer wieder: die Frau hat mich aber provoziert. Die wollte das, die hat sich aufreizend verhalten.

Das mag ja so sein, aber das ist keine Entschuldigung. Der Therapeut soll ja durch seine Ausbildung wissen, was ihm in seinen Therapien widerfahren kann. Genau darauf zielt die Kunst ab, darauf nicht handeln einzugehen.

Aber es kann doch vorkommen, daß es auch auf seiten des Therapeuten mal knistert. Wie sollte er sich dann verhalten?

Das wichtigste in so einer Situation ist, das Gefühl, das entsteht, wahrzunehmennund es nicht zu verdrängen. Was in der Arbeitssituation zwischen Patientin und Therapeut entsteht, ist etwas, was hierher gehört. Dies jetzt nicht, weil es anrüchig, schmutzig oder peinlich ist, wegzuschieben, sondern bewußt zu halten, ist der sicherste Schutz gegen die Handlung, weil man es dann als Arbeitsmittel behält.

Das verlangt vom Therapeuten ein sehr hohes Maß an Disziplin und Selbstkontrolle.

Deswegen ist für den Analytiker in der Ausbildung die intensive Eigenanalyse vorgeschrieben. Gefühle, die im Analytiker auftauchen können, sollen so bewußt bleiben und ausgehalten werden können.

Und wenn ein Therapeut das nicht aushält? Steigt er dann aus der Therapie aus?

Das ist seine berufliche Verpflichtung. Wenn man nicht mehr handlungsfähig ist, muß man klären, an wen man das delegieren kann. Es ist ein wesentliches Kriterium der Ausbildung, ob es dem Kandidaten gelingt, diese selbstkritische Haltung zu sich zu gewinnen.

Nun spielen auch Macht und Abhängigkeiten beim Mißbrauch eine große Rolle.

Der Mißbrauch auf der Couch ist eine Sondersituation eines allgemeinen Phänomens, nämlich des Mißbrauchs einer gesellschaftlich vorgegebenen Abhängigkeit. Daß es an dieser Stelle besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht, hängt möglicherweise damit zusammen, daß die psychoanalytische Therapie die Rolle der Sexualität als Neurosen konstituierenden Faktor in besonderer Weise auch definiert hat. Und deshalb ja auch bis heute hin ambivalent gesehen wird. Ich denke, dieser besondere Zusammenhang mit dem Ursprung der Analyse im Sinne der Entdeckung der verdrängten Sexualität durch Freud und dem im allgemeinen Laienbewußtsein fortgeschriebenen Charakter von „Schweinkram“ mit Gleichsetzung von Psychotherapie: „da geht es immer nur um das Eine“, macht eben auch die besondere Aufmerksamkeitsbesetzung solcher Phänomene aus. Wobei nicht relativiert werden soll, Bdaß der Mißbrauch der Abhängigkeit oder der therapeutischen Beziehung gerade deswegen auch moralisch besonders schlimm zu bewerten ist.

Fragen: Annemarie Struß-v.Poellnitz