Was bleibt, ist oft wieder nur Ohnmacht

■ Ein Forum zum Buch der Unabhängigen Untersuchungskommission über die Ereignisse des 7./8. Oktober 1989 in Ost-Berlin

Prenzlauer Berg. »Diese verdammte Ohnmacht« hätte man am Ende des von der taz und der 'anderen‘ gemeinsam veranstalteten Forums über den Protokollband der Unabhängigen Untersuchungskommission zu den Ereignissen am 7./8. Oktober ausrufen mögen. Nach eineinhalb Jahren Arbeit liegt das Buch Und diese verdammte Ohnmacht vor. Darin finden sich die Gesprächsprotokolle der für die brutalen Polizeieinsätze Verantwortlichen und die Gedächtnisprotokolle der Opfer. Alles, was mit der Arbeit der Kommission geleistet werden sollte, die politisch und juristisch Verantwortlichen zu finden, die Wahrheit der Ereignisse zu dokumentieren und an die Öffentlichkeit zu bringen, schien plötzlich wieder in Frage gestellt. Denn nach zweistündiger Diskussion stand der Streifenpolizist Michael Röhmhild, nur mühsam seine Wut unterdrückend, auf. Er hätte an diesem Abend als Mitglied der Untersuchungskommission auch gern geredet, doch sein Vorgesetzter, jetzt in der Gesamtberliner Polizei, habe ihm dies untersagt. Man wünsche, so Röhmhild, nichts mehr von seiner Arbeit in der Untersuchungskommission zu hören (siehe unten).

Was ist das für ein Land?

Tatsächlich hätten, sagte Christoph Hein, Schriftsteller und Mitglied der Untersuchungskommission, einige Leute, die in der Kommission mitgearbeitet haben, schon wieder Schwierigkeiten im Alltag. Was sei das für ein Land, fragte er, in dem man wegen der Karriere wieder schweigt. Und was ist das für ein Land, in dem sich viele davon befreit hatten, Angst haben zu müssen, wenn sie die Wahrheit aussprechen, und in dem sie sich heute in gleichen Situationen wiederfinden. Was bleibt, ist oft wieder nur ein erneutes Ohnmachtsgefühl gegenüber der Macht.

Danach befragt, was sie erreicht haben, zogen die Mitglieder der Untersuchungskommission ein trauriges Resümee. Das eigentliche Ziel, den Opfern Wiedergutmachung widerfahren zu lassen, sei mißglückt, sagt Harald Zientek, der damals am Kontakttelefon in der Gethsemane- Kirche saß. Die 14 Prozesse gegen tätlich gewordene Polizisten hätten mit zum Teil skandalösen Urteilen geendet. Oft habe man das Gefühl gehabt, daß nicht die Täter, sondern die Opfer auf der Anklagebank gesessen hätten.

Unter massiven Behinderungen hatte die Kommission sofort nach den Übergriffen der Polizei im Oktober 1989 begonnen, die Ereignisse zu rekonstruieren. Erst nachdem sie von der Stadtverordnetenverammlung anerkannt wurde, erweiterte sich parallel mit den politischen Veränderungen in der DDR zunehmend ihr Handlungsspielraum. Doch weiterhin blieb der Kommission der Zugriff auf die Polizeiakten erschwert. Sie konnte zwar die politisch Verantwortlichen wie die SED-Politbüromitglieder Krenz und Schabowski feststellen, jedoch die juristischen Beweise mußten oft lückenhaft und unzureichend bleiben. Die Arbeit drohte immer wieder an den Vertuschungsmanövern der für die Polizeieinsätze Verantwortlichen zu scheitern. Erst im Januar ermöglichte man der Untersuchungskommission den Zugang zu den Beweismaterialien. Doch zu diesem Zeitpunkt sei schon vieles vernichtet und beseitigt gewesen.

Verantwortliche bleiben juristisch verschont

Bis zum bitteren Ende, so Kommissionsmitglied Heinz Nabrowsky, habe man versucht die Arbeit fortzuführen. Mit der Vereinigung am 3. Oktober war der Kommission faktisch das Mandat entzogen. Erfolglos bemühten sich die Mitglieder um ein Gespräch bei der Justizsenatorin Jutta Limbach und dem damaligen Innensenator Erich Pätzold. Diese aber schickten zum vereinbarten Termin nur ihre Vertreter, die mit der Problematik nicht im geringsten vertraut waren. Nabrowskis Fazit lautete: Eine juristische Verfolgung der Schuldigen wird es wohl nicht mehr geben. Die Akten, vermutete der Rechtsanwalt Lothar Franz, liegen jetzt irgendwo in Kisten bei der Arbeitsgruppe »Regierungskriminalität« des Kammergerichtes in West- Berlin. Seine Bemühungen, darin Einblick zu erhalten, wurden nach drei Monaten durch einen Brief der Justizsenatorin Limbach abschlägig beantwortet. Viele Verfahren konnten durch die Ostberliner Staatsanwaltschaft nicht zu Ende geführt werden. Deren Neuaufnahme bleibt immer noch fraglich. Bis heute seien die Mitglieder der Untersuchungskommission keine Gesprächspartner für den Senat, stellte Christoph Hein nüchtern fest.

Die ständig angesprochene Justizseite fehlte vorgestern abend im Podium. Die SPD-Senatorin Limbach habe, so Moderator Jürgen Kuttner, glaubhaft machen können, daß sie verhindert sei. (Der Polizeipräsident dagegen zeigte sich nicht interessiert.) So blieb das Gespräch an vielen Punkten oft nur beim Feststellen trauriger Tatsachen. Die Fragen des Publikums, darunter Christa Wolf, Heinrich Fink und Bärbel Bohley, zu den ruhenden Prozessen oder dem Verbleib der Verantwortlichen aus dem Polizeiapparat mußten unbeantwortet bleiben. In diesem Zusammenhang wurde die automatische Übernahme der Ostberliner Polizisten heftig kritisiert. Deren Berufen auf den damaligen Befehlsnotstand zeige doch, daß sie in anderen Situationen, dabei wurde auch an die Räumung der Mainzer Straße erinnert, wieder so handeln würden. Der Polizeigewerkschafter Kämpf wehrte sich gegen eine derartige Pauschalverurteilung seiner Kollegen. Außerdem, berichtigte er, sei die Einzelfallprüfung Voraussetzung für die Übernahme der Ostberliner Polizisten.

Die Ergebnisse der Untersuchungskommission können heute nicht befriedigen, doch sei man, so Hein, wesentlich weiter gekommen, als man damals gedacht hatte. Angesichts dessen weckt dieses Buch »die Erinnerung an eine Zeit, in der viele von uns — und sei es nur für einen Moment — jenseits von Staat und Parteien wirkliche Demokratie erstritten haben. Und dieser Moment wird im Leben eines jeden von uns schwerer wiegen als das nicht zu verdrängende Gefühl der Ohnmacht und der Vergeblichkeit«, schrieb Christoph Hein. Anja Baum