Journalismus als Lebensform

MedienarbeiterInnen diskutierten in Bad Boll über die seltsame Droge „Freier Journalismus“  ■ Von Thomas Kuppinger

Freie JournalistInnen sind arme Schweine. Sie werden von ebenso sadistischen wie inkompetenten, launischen und überbezahlten RedakteurInnen getriezt, gekürzt, umgeschrieben, bei Minusgraden stundenlang durch die Pampa gehetzt. Man schickt ihnen die notorischsten Querulanten und verzwicktesten Behördenmißstände zur Recherche an den Hals. Man läßt sie ihre Texte wegen winziger Details mehrmals umschreiben — nur um sie dann tagelang ungedruckt in den Ablagen, oft realistischerweise auch Halden genannt, zu vergessen. Noch schlimmer als die festangestellten TextentstellerInnen sind deren Brötchengeber, die Verlage: Um Zeilengelder in Pfennighöhe, für deren Umrechnung in Stundenlöhne sonst niemand in dieser Gesellschaft auch nur einen Besen in die Hand nähme, wird gefeilscht, als stehe das jeweilige Pressehaus gerade vorm Konkurs. Klar, daß Verleger für die teuren „Zeilenschinder“ weder Krankenkasse, Sozialversicherung noch Urlaubs- und Weihnachtsgeld bezahlen wollen.

Mit solch selbstmitleidigen Jammer-Litaneien beginnen und enden gewöhnlich gewerkschaftliche Tagungen zum Thema „Freier Journalismus in Deutschland“. Dann wird eine feurige Resolution verfaßt, die Ausbeutung gemeinsam beweint und zum Abschluß bekennen die festangestellten GewerkschafterInnen ihre innigste Soldidarität.

Ganz anders packte das Thema vor Wochenfrist die Evangelische Akademie Bad Boll in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Medienakademie/cpa, Frankfurt am Main, an. Rund 40 SchreiberInnen aus dem westlichen Bundesgebiet stritten über „Freien Journalismus als Lebensform“. Freie JournalistInnen sind ein Hauptmerkmal unseres Mediensystems. Wie kaum eine andere Berufsgruppe dürfen und müssen sie eine „ganzheitliche“ Existenz ausleben: Selbstverantwortlich, ohne Chef ohne feste Arbeitszeit, im eigenen Interesse, für die eigenen Interessen — der Traum einer jeden Psycho-orientierten ZeitgenossIn.

Oder ein Alptraum? Der auch noch aufs Produkt, Nachricht, Reportage und Feature, kurz auf die LeserInnen zurückschlägt? Auch in Bad Boll dominierten die Schattenseiten der verklärten ganzheitlichen Journalistenexistenz — allerdings auf amüsante Weise: „Warum LebensgefährtInnen von freien JournalistInnen auf die Idee kommen könnten, eine Selbsthilfegruppe zu gründen“ und „Droge Journalismus“ hießen die Themen.

Drei Typen von „Freien“ kristallisierte Andreas Bormann, selbst freier Journalist beim NDR, schwankend zwischen Satire und Bitterernst heraus. Nummer eins kann sich die freie Arbeit nebenbei leisten, weil er oder sie mit einer StudienrätIn, einer ÄrztIn etc. liiert ist — journalistische Luxusgeschöpfe und schlaffe Lohndrücker. Nummer zwei „kreist in der Warteschleife überm Funkhaus“, wartet ständig auf die Festanstellung und nimmt dafür nahezu alle schlechten Bedingungen in Kauf — schlecht für die KollegInnen mit der Nummer drei. Die nämlich sind die echten Workaholics, die überlebensgroßen völlig freien Jounrnalisten, die auch wirklich frei sein wollen und den Überlebenskampf auch noch toll finden: sie addieren im Hinterkopf permanent Honorar an Honorar, verwursten alles was Ihnen über den Weg läuft — am besten zehnfach —, gehen manisch an jedes klingelnde Telefon. Im Feedbackrausch können sie ohne Aufmerksamkeit ihrer Umwelt nicht mehr auskommen, immer im Einsatz, immer informiert, im Rausch der Möglichkeiten. Arbeit ohne Grenzen: Klar, daß sie feierabends (was ist das?) nicht gemütlich Seifenopern im TV gucken, sondern standesbewußt den Weltspiegel rezipieren. Klar, daß jede Persönliche Beziehung und jedes intime Gespräch auf „Themen“ abgetestet werden. Was sind Freunde und Bekannte anderes als „Kontakte“? In welchem Urlaubsort lauert nicht eine Story, die man zur Not auch auf die Lokal-Ebene daheim herunterziehen könnte?

Sind sie bemitleidenswerte Opfer der Profession? Mitnichten, denn jede Sucht besteht aus Lust und Leiden, Rausch und Kater, so Bormann. Seine absolut irreale komische Utopie: sechs Journalisten gehen gemeinsam essen — und schaffen es, einen Abend lang nicht über Journalismus zu reden.

Für „Inseln der Unordnung“ sprach sich poetisch der Stuttgarter freie Journalist und Kabarettist Peter Großmann aus. Mit Hilfe eines skizzierten Tages voll angefangener, aber nie vollendeter Arbeit, der dann ganz plötzlich vorüber ist, ohne daß eine einzige Zeile ihren Weg in den Computer gefunden hätte, beschwor er den Alptraum vieler KollegInnen. Täglich mit der eigenen Selbstdisziplin, mit den guten Ausreden wie Aktenablage, Abwasch, Einkaufen und Mittagsschlaf kämpfen zu müssen — für viele bedeutet dies ein ständiges, trödelndes Versagen, bei dem die wirkliche Freiheit und Freizeit auf der Strecke bleiben. Grohmann drehte dann aber auch den Spieß um: Gut sei dies ewige Mischmasch aus Arbeit und Privatleben. Es gehe dabei einfach nur „um die Kunst, kein schlechtes Gewissen zu haben.“

Ganzheitlich sah auch die renommierte Hamburger TV-Journalistin Heike Mundzeck ihr Journalistendasein ohne Stechuhr und festen Feierabend: „Ich betreibe doch ständig meine eigene Fortbildung und die wird mir in diesem Beruf auch noch bezahlt.“ Ihr Rezept an die überwiegend jüngeren KollegInnen: Man übernehme nur Arbeiten, bei denen zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt seien: der Job bringe Geld, Ehre oder Spaß. Privatleben werde aber auch durch die übermäßige Liebe zum Produkt aufgefressen. „Es steckt einfach zu viel von mir in meiner Arbeit drin, das macht mich sehr verwundbar“, beklagte eine junge Kollegin vom Privatfunk. Eine solche Haltung, kritisierte Bormann sei mindestens ebenso bedrohlich wie das bloße emotionslose Schielen auf die große Kasse. Bevor man seine ganze Identität am jeweiligen Artikel oder Beitrag festmache, „ist es noch gesünder zu sagen, ich mach's ja nur für's Portemonnaie“.

Geldverdienen müssen war dann der zentrale Diskussionsaspekt des journalistischen Auditorismus. Immer wieder wurde angeführt, daß jegliche lustvolle Ganzheitlichkeit erst dann einsetzen könne, wenn die permanente Existenzangst, ständige Verfügbar- und Erpreßbarkeit wegfielen. Wer wie Heike Mundzeck mit Redaktionen über fünfstellige Feature-Honorare verhandele, lebe „in einer anderen Welt als die meisten freien JournalistInnen“, bemängelte eine Teilnehmerin an der Referentenauswahl. Breite Zustimmung gab es dann für die Feststellung, daß erst jene, „die es geschafft haben“, Ratschläge zur Verweigerung befolgen könnten, wenn es der zensurwütige Redakteur mal wieder mit dem Mini-Honorar versucht. Zustimmung bekam auch Heike Mundzeck für ihr Plädoyer zu mehr Solidarität unter Freien. Erst wenn man sich nichts mehr vormache über eigene finanzielle Erfolge und untereinander für Transparenz über die jeweiligen Strategien, Honorarrahmen und Tricks der Redaktionen, Sender und Verlage sorge, könne die herrschende Konkurrenz unter „Freien“ angegangen werde — kann die Droge Journalismus als reiner Stoff genossen und erlitten werden.

Der Autor ist freier Journalist in Berlin.