ES DARF GEKLOTZT WERDEN

■ Im Großraum Berlin werden riesige Freizeitprobleme geplant. Eine kritische Bestandsaufnahme

Im Großraum Berlin werden riesige Freizeitprojekte geplant. Eine kritische Bestandsaufnahme

VONGÜNTERERMLICH

Im Frühjahr 1990 stand es plötzlich da wie eine Vogelscheuche: „Heidepark Soltau“. Ein großes buntes Plakat, zwischen Runkelrüben im Garten, neben der Straße im verwunschenen märkischen Dorf Steinbeck. Erster Vorbote der westlichen (Freizeit-)Welt. Noch vor Tchibo oder Eduscho. Raus aus dem tristen Steinbeck und rein ins organisierte Freizeitvergnügen mit Bus oder Trabi nach Soltau.

Bald, so scheint es, können die Steinbecker auch in ihrer näheren Umgebung inszenierte Freizeit erleben. Denn allein im neuen Bundesland Brandenburg, bilanzierte der Pressesprecher des dortigen Umweltministerium, Florian Engels, gebe es zur Zeit 25 Anträge auf Raumordnungsverfahren für Freizeitparks und 38 Anträge für Golfplätze. „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ hieß denn auch folgerichtig das Motto einer Podiumsdiskussion des Geographischen Arbeitskreises für Freizeit und Fremdenverkehr und des Bundes für Umwelt und und Naturschutz (BUND) während der Internationalen Tourismus- Börse (ITB) in Berlin. Das Ausgangsszenario ist immer dasselbe: Die ehemaligen DDR-Gemeinden sind pleite. Wenn ein westlicher Investor mit einem Großprojekt winkt, setzen sie alle Hoffnung auf touristische Entwicklungshilfe in Form von Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen, kurz, auf wirtschaftlichen Aufschwung für die gesamte Region.

Eine dieser Großanlagen ist das „Touristische Freizeit- und Wohngebiet“ einer Bremer Projektfirma im Kreis Pritzwalk. Die Kreisverwaltung Pritzwalk gab grünes Licht und beantragte ein Raumordnungsverfahren, „weil eine sinnvollere Nutzung zur Zeit nicht in Sicht“ sei. Auf einer 90 Quadratkilometer großen, teils bewaldeten, teils von LPGs genutzten Fläche soll ein 1.800 Hektar großes Areal zu einem Rundum- sorglos-Freizeitpaket erschlossen werden: Erlebnispark, Golfplatz mit Hotel, Ferienhäuser- und wohnungen mit 24.000 Betten (sic! Im gesamten Gebiet leben nur 2.400 Einwohner). Man brauche so große Flächen, verteidigte der Projektbevollmächtigte Millrose den enormen Flächenbedarf von der Größe Magdeburgs, „um touristische Reizpunkte in die wasserarme Region Pritzwalk zu bringen“.

Die Dimensionen des Projekts sind gigantisch: geplante Investitionen von 700 Millionen bis einer Milliarde DM, Jahresumsatz nicht unter 100 Millionen DM, 3.000 garantierte Arbeitsplätze (je zur Hälfte Teilzeit und Vollzeit). Das Kapital, das beispielsweise nötig ist, um für den Spottpreis von 40 Pfennig pro Quadratmeter von den Bauern „als normale Partner“ (Millrose) den Grund und Boden zu erwerben, stamme aus dem nichtdeutschen westeuropäischen Bereich, den USA und Japan.

Die Crux der Veranstaltung lag darin, daß kein Investor anderer Freizeitprojekte der Einladung zu dieser Diskussion gefolgt war. Diese scheuen wie die Maulwürfe das Licht, die Öffentlichkeit, vor allem — so scheint es — den Widerstand der Natur- und Umweltschützer. Denn auch in Pritzwalk regt sich bereits Widerstand gegen das Freizeitprojekt. Nora Görke von der Bürgerinitiative warf Millrose vor, daß er „mit der Unsicherheit und der aufkommenden Angst der betroffenen Leute“ spekuliere. Auch gebe es „Einwendungen der Bürgermeister“ gegen das Projekt.

Der Projektmanager Millrose entgegnete, daß sowohl „der Mann auf der Straße“ als auch die Gewerbetreibenden ihn bedrängten, wann es denn endlich losginge. Die Bürgermeister seien nur deshalb sauer, weil er sie „unter Druck gesetzt habe“, indem er die Bevölkerung verstärkt mobilisiert hätte.

25 Prozent Rendite bei Freizeitanlagen (auch Eros-Centern) würden in Anzeigen westdeutscher Zeitungen versprochen, berichtete Florian Engels vom Umweltministerium Brandenburg. Die neuen Bundesländer würden überflutet von Großinvestitionen im Bereich Freizeit und Tourismus. Dagegen fehlten dringend nötige Investitionsvorhaben im produzierenden Gewerbe.

„Wir müssen künftig mit Großprojekten leben“, meinte Dr. Scharpf vom BUND. Die Befriedigung der „kurzen Ausbrüche zum Wochenende raus in die erlebbare Natur- oder inszenierte Badelandschaft“ sei ein Wachstumsmarkt par excellence. Es komme jetzt aber darauf an, wo man die Großprojekte realisiere (Standortfrage) und wie man sie inhaltlich strukturiere (Konzeptfrage). Die Raumordnungsverfahren sind für Dr. Scharpf als Steuerungsinstrument untauglich. Vielmehr müsse auf kommunaler Ebene der Hebel angesetzt werden, da die „Laienspielschar der Kommunen es mit einer Expertenschar der Investoren zu tun hat“. Für die Überprüfung der Seriosität von Großprojekten müsse den Kommunen eine Checkliste an die Hand gegeben werden (zum Beispiel mit doppelter Wirtschaftlichkeitsrechnung, Abschreibungszeiträumen, Differenzierung von Bauträgern und Betreibern).

Die Landschaftsplanerin Martina Krüger wandte sich gegen das häufige Argument, daß touristische Großprojekte für die bankrotten Gemeinden die einzige Überlebenschance böten. Vielmehr legten sie sich damit langfristig auf eine einzige Option fest und seien, wenn der erhoffte Tourismusboom ausbliebe, auf Gedeih und Verderb nur einem Investor ausgeliefert.

„Die Natur ist ein Diamant, der noch geschliffen werden muß. Die Natur schreit nach Golf“, zitierte Silvia Voß vom Naturschutzbund in Potsdam den Investor eines Großgolfplatzes. Sie bezweifelte die Seriosität der sogenannten Marktanalysen der Investoren, die stets die ökonomische Tragfähigkeit ihrer Projekte bescheinigten. Das Dilemma ist, daß zu viele Freizeitprojekte in Konkurrenz zueinander stünden. Letztendlich würde die schöne Landschaft, deretwegen die Leute kämen, zersiedelt. Selbst der wackere Podiumseinzelkämpfer Millrose gestand ein, daß insgesamt nur zehn Prozent der beantragten Maßnahmen errichtet und zwei bis drei Freizeitanlagen überlebensfähig seien.