„Das liebste Gemüse bleibt der Schweinebraten“

Öko-Landwirtschaft in der CSFR: Schwierige Entwicklungsarbeit in den Genossenschaften/ „Bio“ so schnell nicht zu erwarten  ■ Aus Prag Sabine Herre

Die Reprivatisierung des Bodens, die Auflösung der Genossenschaften, die Überproduktion an Butter, Milch und Fleisch — in der Landwirtschaft der CSFR ist nichts mehr so, wie es einst war. Gänzlich unberührt von den Diskussionen über die Einführung der Marktwirtschaft scheint allein der kleine Kreis der tschechischen Ökobauern zu sein. „Irgendwann“, so die weitverbreitete Meinung, „werden zwar auch unsere Genossenschaften von den ökonomischen Reformen betroffen, vorerst aber haben wir ganz andere Probleme.“

Eines dieser Probleme heißt Kommunikation. Eine Zusammenarbeit zwischen den rund 300 Tschechen und Tschechinnen, die in Böhmen und Mähren heute rund 17.000 Hektar „alternativ“ bewirtschaften, war bisher nicht möglich. „Unter den Kommunisten wurden wir zwar nicht gerade verfolgt, aber gern sahen die Funktionäre uns nicht“, erzählt einer von ihnen. Die alte Regierung wollte eine autarke Versorgung vor allem mit Fleisch, dessen hoher Verbrauch ein Zeichen für das Lebensniveau des sozialistischen Staates sein sollte. Wer chemiefreies Gemüse wollte, war auf den eigenen Garten oder die wenigen Privatbauern angewiesen. Zu einem ersten offiziellen Treffen der tschechoslowakischen Ökofreaks konnte es so erst nach der politischen Wende des Herbstes 1989 kommen. In Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll- Stiftung und dem tschechischen Landwirtschaftsministerium lud im Dezember des vergangenen Jahres die erst wenige Monate zuvor gegründete Organisation „pramen zdravi“ („Gesundbrunnen“) zu einem Seminar über Herstellung und Vertrieb biologisch-dynamischer Produkte ein. Einfach sind die Ausgangsbedingungen nicht, denn Früchte, die auf einem von Industrieemissionen und Kunstdünger belasteten Boden gezüchtet werden, dürften kaum das Etikett „Bio“ tragen.

Die von den Experten angeführten Daten sprechen eine deutliche Sprache: Seit 1948 erhöhte sich der Verbrauch an Düngemitteln um das Zehnfache, auf einen Hektar werden pro Jahr 269 Kilogramm gestreut. Mit der Menge der auf einen Quadratmeter entfallenden Pestizide könnten fünf Fasane getötet werden. In Nordböhmen wurde eine durchschnittliche SO2-Konzentration von 140 Mikrogramm/Kubikmeter festgestellt, die hier geltende Norm liegt bei 60 Mikrogramm.

Keine Probleme gibt es dagegen mit der Unterstützung durch die neuen staatlichen Behörden — im Gegenteil. Die Tschechische Republik hat das Amt eines „Vizeministers für alternative Landwirtschaft“ geschaffen. In den nächsten fünf Jahren sollen den Ökobauern die finanziellen Einbußen, die die Umstellung der Produktion mit sich bringt, ersetzt werden. Während viele renommierte Institutionen in Prag noch immer um die Zuteilung von Gebäuden kämpfen, ist dem „Gesundbrunnen“ ein Palais in der Altstadt zur Verfügung gestellt worden. Hier wird in den nächsten Monaten ein „Zentrum für gesunde Ernährung“ entstehen. Geplant ist der Verkauf von Lebensmitteln, Medikamenten und Kosmetika, in einem Restaurant und einem Schnellimbiß sollen vegetarische Gerichte angeboten werden.

Wichtig ist „pramen zdravi“, aber auch die Aufklärung über Alkohol, Nikotin und Drogen: „Wir wollen der Gesellschaft beibringen, daß der Sinn des Lebens nicht im Konsum liegt“, heißt es in einem Papier. Genau an dieser Stelle stoßen die tschechischen Alternativen jedoch auf die größten Hindernisse: „In den ersten Monaten des Umbaus des ökonomischen Systems suchen die Menschen nach schnellen Verdienstmöglichkeiten. Selbst viele Mediziner verstehen nicht, warum wir uns gerade jetzt mit einer anderen Lebensweise beschäftigen. Gesunde Ernährung — dafür haben die Tschechen jetzt keine Zeit. Ihr liebstes Gemüse ist immer noch der Schweinebraten.“

„Unser größtes Problem sind die Menschen.“ Dieser Meinung von „pramen zdravi“ können sich auch viele Ökobauern nur anschließen. Einer von ihnen ist Joachim Dutschke, Mitarbeiter des bundesdeutschen Forschungsrings für biologisch-dynamische Wirtschaftsweise. Der westliche „Entwicklungshelfer“ in Sachen ökologische Landwirtschaft kam bereits im Sommer 1989 in die Tschechoslowakei. Da selbst kommunistische Bauernfunktionäre die wachsenden Probleme der traditionellen Anbaumethoden erkannt hatten, sollten ausländische Berater ihnen beim Aufbau eines experimentellen „Ökohofes“ helfen.

Seit einem halben Jahr ist Dutschke so damit beschäftigt, eine LPG im nordböhmischen Haje umzustellen. Doch das Biologisch-Dynamische bleibt zunächst im Hintergrund. Dutschkes erste Erfahrungen: „Den LPG-Mitgliedern ist es doch egal, was sie produzieren. Sie haben jede Beziehung zum Boden verloren, wichtig ist allein das Einkommen.“ Vorrangiges Ziel müsse daher die Änderung der Struktur der Genossenschaft sein. Durch eine Aufteilung in kleinere Einheiten und die Einführung der finanziellen Selbständigkeit soll die direkte Verantwortlichkeit der einzelnen gestärkt werden.

Diese Maßnahmen haben die sozialen Beziehungen auf dem Hof freilich nicht verbessert. „Inzwischen kennen fast alle Ziel und Zweck ihrer Arbeit, hart umkämpft werden nun jedoch einzelne Gebäude und Grundstücke. Diese will man nicht einfach den anderen Betriebsteilen überlassen.“ Doch auch bisher waren die sozialen Kontakte zwischen den Genossenschaftsmitgliedern gering. „Die Männer haben sich zwar jeden Abend in der Dorfkneipe getroffen, geredet wurde dort aber nicht, nur getrunken. Erst jetzt“, so Dutschke, „besuchen sich die Mitarbeiter zu Diskussionen über die Einführung des biologisch-dynamischen Anbaus auch zu Hause.“ Während die Mehrheit der LPG-Mitglieder den Veränderungen skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, bilden diejenigen, die sich für die Entwicklung der alternativen Landwirtschaft einsetzen, ganz allmählich ein Kollektiv. Ihnen allerdings käme eine schnelle Auflösung der Genossenschaft nicht ungelegen: „Dann könnten die trägsten Teile des Betriebes abgestoßen werden.“