Der Silberstreif am Horizont fehlt

■ Thüringen: Betriebe hängen am Tropf/ Die Geduld der Arbeitnehmer ist mehr als überstrapaziert

Erfurt. Die Betriebe hängen am Tropf der Treuhand. Eigentumsfragen sind ungeklärt, Konzepte sind nicht vorhanden oder werden durch ungeklärte Eigentumsverhältnisse verhindert. Wenn Rückerwerb vor Entschädigung geht, verunsichert dies die Lage noch mehr. Der Teufelskreislauf von ungeklärtem Eigentum, strukturellen Veränderungen in den Betrieben, die nötig wären und den personellen Strukturen, schließt sich. Es fehlen Gelder ebenso wie klare politische und unternehmerische Entscheidungen, um wirklich sanieren oder neu aufbauen zu können.

Auch der Grad der Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist bezeichnend. Die Betriebsräte wurden in der Vergangenheit bei allen wichtigen Entscheidungen, wenn überhaupt, nur im nachhinein informiert. Die jetzigen Geschäftsführungen der Betriebe bestehen meist aus ehemaligen Betriebsdirektoren oder anderen Funktionären. Bestes Beispiel ist die Ermic GmbH, wo die beiden Geschäftsführer John (ehemals Betriebsdirektor) und Send (ehemals Parteisekretär) von ihrer Belegschaft mindestens 5.000 Beschäftigte entlassen. 6.800 Beschäftigte sind es zur Zeit noch. Der Betrieb wurde besetzt. Noch gibt es keinen Sozialplan, was bedeutet, daß Arbeiter nach dreißig Jahren Betriebszugehörgkiet entlassen werden, ohne Aussicht auf eine Mark Abfindung und ohne die geringste Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben.

Der Betriebsrat verhandelte mit der Geschäftsführung. Die Betriebsbesetzer forderten die Erhaltung von Arbeitsplätzen, Umschulungsangebote, einen Sozialplan und den Rücktritt der belasteten Geschäftsführung. M. Bücher geht davon aus, daß ein Drittel der Leitung bei Mikroelektronik nicht nur Mitarbeiter der Stasi waren, sondern selbst Befehlsgeber. Aus der ehemaligen Kombinatsleitung ist jetzt die Geschäftsführung der PTC entstanden. Dem Betriebsrat ist bekannt, daß sich diese 40 ehemaligen Mitarbeiter selber Abfindungen in der Höhe von Zehntausenden von Mark zugestanden haben.

Bei Umformtechnik Erfurt ist es gelungen, eine Forderung der Belegschaft durchzusetzen. So mußten alle Mitarbeiter der Geschäftsleitung eine Bereitschaftserklärung abgeben, daß sie sich ihrer möglichen Stasivergangenheit wegen überprüfen lassen. Auch sonst sieht die Zukunft dieses Betriebes nicht schlecht aus. Doch solche Betriebe sind selten. Oft belasten die alten Personen und Strukturen das Klima und lassen kein Vertrauen und Neuanfang zu. Schmerzliche Erfahrung der Betriebsräte ist oft, daß westliche Unternehmer sehr gut mit diesen alten Seilschaften zurechtkommen [gleich und gleich gesellt sich gern. sezza]. Sie besitzen alle Eigenschaften, die sie gebrauchen können.

Ein rücksichtsloses Vorgehen gegen die Arbeiter und treue Pflichterfüllung scheint gesichert. Wie die Demonstration vor dem Thüringer Landtag zeigte, ist die Geduld der Arbeitnehmer am Ende. Da der Haß und die Verzweiflung zunehmen, versuchen die Geschäftsführungen die Betriebsräte als Alibi vorzuschieben [alt bekannt... sezza]: »Der Betriebsrat war bei dieser Entscheidung ja dabei.« So kommt es, daß Betriebsräte von Arbeitern hören, ihr entlaßt uns. Wobei sie den Arbeitern erst einmal erklären müssen, daß die Geschäftsleitung entläßt. Heinz Brandt als Betriebsratsmitglied weiß nicht mehr, was er den Arbeitern im Betrieb sagen soll. Ihm fehlt der Silberstreif am Horizont. Wo ist die Zukunft? Veit Voigt