BERLINER PLATTENTIPS
: Empfängnishilfe

■ »Radio 100 im Exil« — die Radiokassette zur Endlosschleife

Jetzt, da sich seit dem 28. Februar auf Frequenz 103,4 Mhz nur noch das Pochern verlorener Rhythmusmaschinen-Platitüden regt, erst recht: Das Radio aus dem Medienbaukasten spielt wieder und weiter — unfreiwilligerwahlweise im Kassettenrekorder. Hätte der französisch kapitalisierte Geschäftsführer die Senderäume in der Potsdamer Straße nicht versiegelt und Wachschutz davor abstellen lassen, gäbe es wahrscheinlich privat geführte Piraterie. So aber blieb dem harten Kern der alten Crew nichts anderes übrig, als von anderer Stelle aus zu senden und Informationen zu verteilen, so gut es geht. »Da hätten vielleicht auch ein oder zwei Flugblätter gereicht«, meint eine Mit-Macherin, nur ginge es den ExilantInnen eben gleichwohl darum, die ursprüngliche Verbreitungsform einigermaßen beizubehalten. Insofern liegt ihnen das Tonband logischerweise näher als bedrucktes Papier.

Im Preußentonstudio für teures Geld produziert, rollt »Radio 100 im Exil« als Tonkonserve noch einmal den Werdegang des alternativen Senders bis zum Konkurs auf, inklusive aller möglichen Daten, Fakten und exklusiver Hintergründe. Wer da schon immer wissen wollte, mit wem der taz-Mensch für Lokales seine Wohnung teilt, wird hier genauso Auskunft finden [Ob sie stimmt, steht auf einem anderen Blatt! d. säzzer] wie Wißbegierige in Sachen Finanzen. Dazu gibt es das vorher alltäglich souverän betriebene Sendechaos, nun eben ein wenig simuliert und neu abgemischt in Stereo. Im talkenden Dreiergespann giften sich repräsentativ die gegnerischen Interessengruppen von der Belegschaft und vom Management nach allen Regeln der Hörspieldramaturgie nochmals für auswärtige Ohren zum Mithören an. Der böse Bimmel, der näselnde Amsel, im Grunde alles echte Stimmen von früher, nur in falsche Namen gehüllt; ein bißchen parodistisch zwar, aber von hohem Agitationswert.

Die Unterhaltung besorgt zwischendrin eingeblendete Musik wie im richtigen Radioleben. Das poppigste, tanzbarkeitsgeprüfteste Clubhymnenstück ertönt schon am Anfang programmatisch: »Primal Scream — Come Together« und die Aussage, daß man eben eine richtig gute Zeit haben wolle, mit den besten Drogen geladen, und »free« sein und so Zeugs. Dann folgen immer wieder Rave-Perlen von den »Shamen« bis zu den »Charlatans«, aber auch Gospel und richtiger Rock, was eben sonst des Tags aus dem Radio schallte, hier nun ein wenig verkürzt als kurze Melodien hineingeschnipselt.

Selbst vor der guten alten »Funk, Funk, Funk, ich hör so gerne Werbefunk«-Minute wird nicht zurückgeschreckt, wie im richtigen Hörerleben, wie es Pepsi auf Leihcassetten auch schon im Videogeschäft als Vorspann zu den Ghostbusters II beispielsweise vorführt. Damit ist das übriggebliebene Radiogespann auf der Höhe der Zeit, wenn auch wiederum mit einem spitzbübischen Anflug von Ironie. Gegen Ende der Kassette will der eingeblendete Sonorbaß des frequenzverkündenden »Radio 100, 103,4 Megahertz«-Ansagers zu Klängen von »The Jam« — Going Underground — sogar ein wenig Rührung und Wehmut aufkommen lassen, gute alte Zeit, als ungezählte Tratsch- und Troublestunden noch zu jeder Tageszeit ans Ohr drangen. Nun scheinen sie im Geiste wieder auf. Listig, listig, diese Radioleute, so mit der Erinnerung zu spielen.

Wer sich also auf Dauer nicht zu Tode tanzen, saufen oder sonstwie benefizen will, aber gleichwohl ein Herz für den Sender zeigt, möge dieses oder das nächste Woche folgende Tape ersteigern. Es kostet nicht mehr als ein zum Soliwohl weggeprostetes Glas Sekt. In einigen Jahren wird es darüber hinaus schon ein rares Dokument geworden sein: eine Legende von Leuten, die auszogen, empfangen zu werden. Dem sei hiermit geholfen, unbefleckt. Prost und Amen. (Erhältlich im Radiobüro, Graefestraße 68) Harald Fricke