Irrlauf durch die Gebrechen des Sports

■ Die alternative Initiative „Ulysses“ startet heute zu einem „Sportverständnislauf“

Frankfurt/Main (taz) — „Wir kämpfen mit einem übermächtigen Gegner, den man nicht aufhalten kann. Aber vielleicht können wir ihn bremsen.“ Jürgen Mennel, Deutscher Meister im 100-Kilometer-Lauf und Mitbegründer der alternativen Sportinitiative „Ulysses“, spricht vom Leistungssport, von seinen Auswüchsen und dem Medienrummel, der um ihn getrieben wird.

Heute um 10 Uhr startet er zusammen mit Andreas Schraag vom Stuttgarter Schloßplatz aus zu einem „Sportverständnislauf“, der die beiden über Heilbronn, dem Sitz der Initiative, Heidelberg und Darmstadt nach Frankfurt vor das Gebäude der Deutschen Sporthilfe führen wird. Aufmerksam machen wollen sie damit auf die übertriebene Förderung des Leistungssports durch die Sporthilfe und die Begleiterscheinungen wie Doping und übersteigertes Nationaldenken.

„Unser Ziel ist eine alternative Sporthilfe“, sagt Mennel, der schon im März letzten Jahres mit einem 360 Kilometer langen „Ökolauf“ von Mainhardt-Maienfels nach Hildburghausen in der ehemaligen DDR auf sich aufmerksam gemacht hat. „Denn wir fragen uns, ob es richtig und sinnvoll ist, daß Sportverbände, Ministerien und Industrie Millionenbeträge zum Fenster hinauswerfen, um Verbesserungen von Sekundenbruchteilen zu erreichen. Und das, während viele sinnvollere Bereiche ein Mauerblümchendasein fristen.“

Damit meint er zum Beispiel den Sport mit Kranken, Behinderten oder Nichtseßhafen, den Ulysses anbietet. Gegründet wurde die Initiative 1983, nachdem Mennel und einige Bekannte sich durch einen Protestlauf gegen die Stationierung von Pershing-II-Raketen in Mutlangen mit ihrem alten Verein viel Ärger eingehandelt hatten. „Die haben uns damals in ein linkes Eck geschoben“, berichtet Jürgen Mennel, „obwohl die Leichtathleten noch die progressivsten im Verein waren.“ Seit dieser Zeit also kümmert sich Ulysses um für einen Sportverein recht ungewöhnliche Dinge wie meditatives Laufen, Bewegungstheater, einen Spieltreff und Trainingszeiten für Nichtseßhafte und Gefängnisinsassen. Und in der Arbeitsgemeinschaft Sportpolitik werden Gesinnung und Politik im Sport zum Thema gemacht.

Doch obwohl man bei Ulysses nicht Mitglied werden muß, um die Angebote zu nutzen, lief die Entwicklung anfangs eher schleppend. „Von der Stadt haben wir überhaupt keine Unterstützung bekommen, nicht einmal ideelle“, so Mennel. „Und der Deutsche Sportbund gibt lieber 10.000 Mark dafür aus, seine Funktionäre im ganzen Land rumreisen und neue Zeitmeßgeräte auswählen zu lassen, als solchen Initiativen zu helfen.“ Trainingszeiten in der Halle bekam man erst nach Mennels Erfolg bei den Deutschen Meisterschaften.

Inzwischen läuft es besser, der Verein hat 25 Mitglieder und konnte auch schon die Universität Würzburg für sein Programm begeistern: „Dort wurden Vorlesungen zum Thema Sport mit Randgruppen gehalten, die Uni Tübingen plant für die nächste Zukunft Ähnliches“, freut sich Langstreckenläufer Mennel. Und er ist überzeugt, daß „die Studenten das hören wollen, nur erzählt ihnen niemand etwas darüber“. Eine große Schwierigkeit liege auch darin, daß ein anderes Sportverständnis schon früh gefördert werden müsse, etwa im Grundschul-Sportunterricht. Die Idee der „New Games“, die auf Zusammenspiel statt Konkurrenzdenken beruht, sei ein guter Anfang.

„Leider setzen aber die Medien mit ihrer ständigen 6:4-5:7-6:3-Berichterstattung immer noch die falschen Prioritäten“, ärgert sich Mennel. Der DDR-Sport mit seinem völlig übersteigerten Erfolgs- und Nationalitätsdenken habe gezeigt, wohin so etwas führe. Daß aber das Leistungsdenken im Sport, ohnehin nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, jemals ganz abgeschafft werden könnte, wagen auch die beiden Läufer nicht zu hoffen. Nicht umsonst haben sie ihrer Initiative den Namen Ulysses, das lateinische Wort für Odyssee, gegeben. Andreas Schraag: „Es wird eine Irrfahrt durch die Gesellschaft sein, mit vielen Stationen und Herausforderungen, die wir bestehen müssen.“ Matthias Spielkamp