ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Ein Mann summt vor sich hin: Fulminant

Ein Mann summt vor sich hin, ein ganzes Weilchen, summt wie einer, der morgens auf den Bus zur Arbeit wartet: ein bißchen brummig, ein bißchen falsch. Falsch? Ein Klavier setzt ein, mit disparaten Akkorden, kurzen Läufen. Einer pfeift dazu, ein bißchen unmelodisch. Unmelodisch?

Kategorien wie „richtig“ und „falsch“ machen überhaupt keinen Sinn bei den Improptus von Misha Mengelberg. Der niederländische Pianist, vor über 25 Jahren Avantgardist und jetzt Veteran der neuen neuen freien Musik, ist radikaler Individualist. Egozentrisch teilt er in seinen wie zufälligen Improvisationen mit: Das bin ich, so geht es mir in diesem Moment, der Rest ist eure Sache. Holpernd und stolpernd spannt er auf dem Klavier einen weiten Rahmen von Tönen und Harmonien, aus trügerisch einfältigen Melodien entwickeln sich Wirbel, etüdenhafter Wohlklang lullt den Hörer vorübergehend ein, Akkorde steigen auf über die „Treppe“ der Tastatur, kleine Tonfolgen verwirren sich wie Vogelspuren im Schnee. Dazu wimmert, stöhnt und keckert Mengelbergs Stimme.

Wer sich auf Mengelberg einläßt, entdeckt auch die Überlegtheit dessen, was vordergründig nach Zufall klingt: Mengelberg setzt mit seinen getupften oder schroffen Akkorden, mit Einzeltönen und den Pausen dazwischen Orientierungspunkte, die den Hörer einladen, allein zwischen ihnen zu wandern, sich zurechtzufinden. Das ist das Schöne, das Phantasie-Anregende an seinen 13 Improptus: Sie schicken dich auf einen Weg, bei dem du am Anfang eines Stückes nicht weißt, wo du am Ende sein wirst.

Wie Mengelberg gehören auch die vier Saxophonisten/Klarinettisten Evan Parker, Louis Sclavis, Hans Koch und Wolfgang Fuchs zur Gruppe jener Musiker, die dezidiert „europäische“ improvisierte Musik machen, eine Musik, deren Existenz ohne den amerikanischen Jazz nicht vorstellbar wäre, die aber eine eigene Sprache spricht. Die vier haben einen traumhaften Grad von technischem Können, Selbstbewußtsein im Zusammenspiel und musikalischer Vorstellungskraft erreicht, spielen mit einer so lockeren Selbstverständlichkeit, daß man leicht die lange Geschichte der Emanzipation des Saxophons im Jazz und der Tonbildung auf diesem Instrument vergißt, die diese Souveränität erst ermöglichte. Es begann noch im Dixieland mit der „slapping tongue“, dem Zungenschnalzen gegen das Blättchen, das damals dem Spiel Ausdruck gab und heute so zickig klingt. Der „Ton“, die Klangfarbe eines Spielers, wurde bald zu seiner musikalischen Visitenkarte im Jazz. Rhythm'n'Blues-Saxophonisten, die „Honker“ und „Screamer“, „überbliesen“ dann ihr Instrument, meist das Tenorsax, erweiterten den Tonumfang nach oben, blökten tiefe Töne und heizten die Stimmung mit „Schreien“ auf dem Sax an, eine Technik, die endgültig erst seit dem Free Jazz akzeptiert ist. Auf der Suche nach vielfältigeren Ausdrucksmöglichkeiten fanden die Saxophonisten der neuen Musik auch neue Instrumente: Zur bisherigen „Blättchen-Familie“ zwischen Sopransaxophon, Klarinette und Baritonsaxophon kamen Sopranino, Baß- und Kontrabaßklarinette.

In ihren Duetten nutzen die vier das Instrumentarium furios. Es schnarrt, knarrt, schnattert und schmatzt, es zwitschert, flüstert und grunzt. Den erschöpfenden klanglichen Variationen geben die Musiker in langen Doppel-Improvisationen musikalische Form: expressiv und emotional, manchmal hektisch und überstürzt. Evan Parker prägt die Duette, an denen er beteiligt ist, mit langsam sich entwickelnden, minimalistischen Figuren, die sich intensivieren und wieder abbrechen und die von seinen Partnern aufgenommen, abgewandelt oder konterkariert werden. In den zwei Duetten mit Wolfgang Fuchs scheinen beide in weiten Ellipsen, deren Linien sich annähern, überschneiden, wieder auseinandergehen, um einen imaginären Pol zu kreisen; im Zusammenspiel mit Louis Sclavis in Trane and the rive gauche spielt Parker ein überraschend weiches, ruhiges Tenorsax.

Hans Koch entwickelt seine differenzierte, harte und aggressive Sprache auf dem Sopransaxophon besonders in Strongly Weather (Wrongly) 3 mit Sclavis, dem wandlungsfähigsten der vier. Das schönste Duett, da durch ruhige Phasen überschaubar konstruiert, ist für mich Helmholtz zwischen Sclavis auf der Klarinette und Fuchs auf der Kontrabaßklarinette. In den ruhigen Momenten explorieren sie die Klangmöglichkeiten ihrer Instrumente und ihres Zusammenspiels, in den schnelleren wechselt insbesondere Sclavis rasend zwischen der heimeligen Wärme des tiefen Registers und der Eiseskälte der hohen Lage.

FMP hat die Höhepunkte dreier Berliner Konzerte vom Juli 1989 auf zwei CDs von über 140 Minuten Spieldauer konzentriert: Fulminant. Manchmal habe ich mich nach etwas ruhiger Klarheit gesehnt

Misha Mengelberg, „Improptus“, FMP CD 7

Wolfgang Fuchs/Hans Koch/Evan Parker/ Louis Sclavis: Duets, dithyrambisch,

FMP CD 19/20

Vertrieb: Helikon, Heuauerweg 21,

69 Heidelberg 1, Tel. 06221/71013

EINMANNSUMMTVORSICHHIN:FULMINANT