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Saddam Hussein tritt die Flucht nach vorn an

In seiner ersten öffentlichen Ansprache seit Inkrafttreten der Feuerpause verspricht der irakische Präsident seinen Untertanen eine Demokratisierung des Landes/ Irakische Kurden sollen auf mehr politische Rechte hoffen dürfen/ Schiitische Opposition soll integriert und neutralisiert werden  ■ Aus Amman Khalil Abied

In einer von Radio Bagadad und vom Fernsehen landesweit ausgestrahlten Rede hat Saddam Hussein am Samstag erklärt, seine Truppen hätten einen Aufstand im Süden des Irak niedergeschlagen. Damit hat der irakische Präsident erstmals die gegen sein Regime ausgebrochenen Unruhen öffentlich eingestanden.

In der gleichen Rede stellte Saddam Hussein weitgehende politische Reformen in Aussicht. Er versprach die Errichtung eines demokratischen Mehrparteiensystems mit einem neuen Parlament und einem neuen Kabinett. Er kündigte eine „neue politische Ära“ an, die durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung eröffnet werden solle. Der Text der Verfassung soll ausführlich diskutiert und durch ein landesweites Referendum abgestimmt werden. Die Medien sollen in Zukunft frei berichten dürfen. „Die Iraker werden in dieser neuen Ära größere Freiheit genießen, ihren politischen Willen und ihre Interessen mittels politischer Parteien, Vereinigungen und der Presse zu artikulieren... Wir, die politische Führung des Irak, haben beschlossen, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen.“

Es war die erste öffentliche Ansprache, die Saddam Hussein seit Inkrafttreten der Feuerpause gehalten hat. Er suchte dem Umstand Rechnung zu tragen, daß sein Regime durch die kurdischen Aufstände im Norden, die schiitischen Unruhen im Süden und ebenso durch die Opposition früherer Unterstützer der Baath- Herrschaft ernstlich unter Druck geraten ist. Letztere haben angesichts der vernichtenden Niederlage der irakischen Armee in Kuwait und der Zerstörung des Irak begonnen, mehr Freiheiten zu fordern.

Die unausgesprochene Botschaft, die Saddam Hussein durch seine Rede kundgetan hat, ist, daß er grundsätzlich bereit ist, die Macht im Staate zu teilen. In Anbetracht der politischen Stimmung im Irak ist dies seine einzige Möglichkeit, politisch zu überleben. Viele Iraker machen ihn für die katastrophalen Folgen dieses Krieges verantwortlich, den sie nicht wollten und in den er das Land hineingetrieben hat. Sie sagen ganz offen, daß sie es satt haben, keine Mitspracherechte in der Regierung zu haben.

Die Rede zeigt, daß Saddam Hussein die Absicht hat, jene Oppositionsgruppen zu kooptieren, die sich letzte Woche während eines Treffens in Beirut auf ein gemeinsames Programm für eine demokratische Regierungskoalition im Irak geeinigt haben. Der irakische Herrscher mußte befürchten, daß es der Opposition gelingen könnte, sich als glaubwürdige Alternative zur Einparteienherrschaft der sozialistischen Baath-Partei zu präsentieren.

Teil dieser Opposition sind die schiitischen Organisationen. Die Mehrheit der irakischen Bevölkerung ist schiitischen Glaubens, ohne entsprechend in der Regierung repräsentiert zu sein. Indem er dieser Parteienkoalition die Teilhabe an der politischen Macht anträgt, hofft Saddam auch, die Unterstützung der schiitischen Bevölkerung zu gewinnen. Nur so wäre die Regierung in der Lage, die überwiegend aus Schiiten bestehende Armee wieder zu vereinigen und zu reorganisieren. Saddam hat offenbar die Hoffnung, daß der geistige Führer der irakischen Schiiten in Najaf, Abu Qassem Khoui, sich entschließt, die Erhaltung der Einheit des Irak zu unterstützen und eine sogenannte Fetwa, ein religiöses Gutachten abzugeben, das die Schiiten des Irak zum Heiligen Krieg gegen die amerikanische Truppen auf südirakischem Boden inspiriert. Daß Saddam dazu nicht selbst aufrufen kann, ist ein Zeichen seiner politischen Schwäche.

Einen Großteil seiner Rede widmete Saddam den Kurden. Er räumte ein, daß sie seinen Truppen nach wie vor erheblichen Widerstand leisten. Er erwähnte ein Abkommen, das die irakische Regierung im März 1974 mit der politischen Führung der irakischen Kurden abgeschlossen hat und in dem ihnen weitgehende Autonomie zugesichert wurde. Saddams Äußerungen sollen den Kurden für die Zukunft offenbar erneut Hoffnung auf erhebliche politische Rechte machen, eine autonome Regierung und das Recht auf Rückkehr in ihre Dörfer eingeschlossen. Aber für solche Versprechungen ist es womöglich zu spät. Die politische Führung der Kurden könnte zu dem Schluß kommen, daß Saddam Hussein solche Zusagen nur macht, weil er jetzt unter Druck steht, um sich später doch nicht daran zu halten. Es wäre nicht das erste Mal.

Saddam Hussein appellierte schließlich an die Ängste aller Iraker vor einer Teilung des Landes. Man müsse zusammenstehen, um die Einheit des Irak zu erhalten. Selbst Oppositionelle sind jetzt der Meinung, daß ein Sturz des irakischen Präsidenten zur Teilung des Landes in einen nördlichen kurdischen Teil, einen kleinen und schwachen sunnitischen Staat in Zentralirak und einen schiitischen Staat im Süden führen könnte, oder — schlimmer, daß das Land auf unabsehbare Zeit in einen Bürgerkrieg hineingeraten könnte. Saddam warf den ausländischen Mächten denn auch vor, sie wollten den Irak „zerstören, teilen und in einen zweiten Libanon verwandeln“.

Radio Bagdad teilte unterdessen mit, daß das irakische Parlament für den kommenden Mittwoch zu einer Sondersitzung einberufen wurde. Der Parlamentspräsident Saadi Mahdi Saleh gab keine Tagesordnung bekannt.

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