Erster Gesamtberliner VS warnt vor Ausgrenzung ostdeutscher Autoren

■ Lange Diskussionen um die Aufnahme umstrittener DDR-Autoren/ Kritik an „Briefaffäre“

Berlin (dpa/taz) — Stundenlange Diskussionen über die Aufnahme von 18 umstrittenen Ost-Autoren bestimmten am Wochenende das Thema der Gründungsversammlung des Gesamtberliner Verbandes deutscher Schriftsteller (VS). Der Vorstand des Westberliner VS hatte bereits im November vergangenen jahres 69 Autoren aus Ost-Berlin als neue Mitglieder aufgenommen, darunter auch den stark belasteten Hermann Kant. Auf der Versammlung, zu der rund 120 Schriftsteller aus beiden Stadtteilen erschienen waren, wurde vor einer „Ausgrenzung“ ostdeutscher Autoren gewarnt.

Der ehemalige Ehrenvorsitzende des DDR-Schriftstellerverbands, Stefan Heym, der 1979 wegen seiner SED-kritischen Ansichten aus dem DDR-Verband ausgeschlossen worden war, warnte davor, Fehler zu wiederholen. „Kriecher, Opportunisten und Nutznießer“ würden damit nur Gelegenheit erhalten, „sich als Verfolgte darzustellen“. Der VS als Gewerkschaft müsse „alle aufnehmen, die im Beruf arbeiten“. Ähnlich äußerten sich aus dem Ostteil Berlins Dieter Schubert, Maja Wiens, Wilfried Bonsack und Wolfgang Herzberg sowie die Westberliner KollegInnen Erika Runge, Mehmet Özata und Anna Thüne. Die Mitgliedschaft der Neuen sei mit „Eintreffen der Beitrittserklärungen“ eingetreten, hieß es. Eine Ausnahme gelte lediglich für jene, die nachweislich für die Stasi tätig waren, sagte Olav Münzberg, der weiter als Vorsitzender des VS-Landesbezirks — jetzt für Gesamt-Berlin — fungiert. Um „Parität“ zu gewährleisten, wurde als erster Stellvertreter Münzbergs Klaus-Dieter Sommer zugewählt, Berliner Landesvorsitzender des DDR-Verbandes bis zu dessen Auflösung Anfang des Jahres. Insgesamt wurden auf der Gründungsversammlung vier neue Mitglieder aus Ost-Berlin und zwei aus dem Westen in den nun neunköpfigen Vorstand nachgewählt.

Auf dem ersten gesamtdeutschen VS-Bundeskongreß Ende Mai in Lübeck-Travemünde wollen die Berliner den Antrag einbringen, sowohl die „Altlasten“ des DDR-Verbandes als auch die Geschichte des VS aufzuarbeiten. Dazu soll ihrer Meinung nach eine Kommission berufen werden.

Der Berliner Landesverband stellte sich gegen ein Schreiben des Bundesvorstandes in Stuttgart. Darin war insgesamt 23 Autoren aus der ehemaligen DDR — davon jene 18 aus dem Ostteil Berlins — wegen ihres umstrittenen Verhaltens im SED-Staat eine vorläufige Zurückstellung ihres Antrags auf VS- Mitgliedschaft empfohlen worden. Wegen dieser Briefaffäre hatte sich der bisherige stellvertretende Vorsitzende des Berliner VS, Detlef Michel, von seinem Vorstandsposten zurückgezogen. Der VS-Bundesvorsitzende Uwe Friesel bestätigte, daß Briefinhalt und Namen mit Vertretern des früheren DDR-Schriftstellerverband beraten worden seien.

Die Mitgliederversammlung beschloß für Herbst Neuwahlen des Berliner Vorstandes. Durch den Beitritt von rund 250 ehemaligen ostdeutschen Kollegen vergrößerte sich der Berliner VS mehr um das Doppelte und hat jetzt 427 stimmberechtigte Mitglieder. bg