DOKUMENTATION
: IMB Maizière lieferte »äußerst brisante Materialien«

■ Wie Persilscheine gemacht werden: Vergleich zwischen dem Gauck-Bericht und dem Schäuble-Abschlußbericht

Bundesinnenminister Schäuble hat am 21. Februar 1991 seinen »Abschlußbericht über die Prüfung der Vorwürfe gegen Herrn de Mazière« veröffentlicht — fünf Seiten, die es der Bonner CDU-Spitze offenließen, den ehemaligen Ministerpräsidenten der DDR als »stellvertretenden« CDU-Vorsitzenden formell neben Kohl stehen zu lassen und mit der ehrenvollen, aber eher unwichtigen Leitung der CDU-Programmkommission dafür abzufinden, daß er bei der Regierungsbildung unversorgt geblieben war. Wie der eindeutig belastende Gauck-Bericht zu dem zweideutig entlastenden Schäuble-Abschlußbericht umgeschrieben wurde, soll hier dokumentiert werden.

Gauck-Bericht (zu der Karteikarte ‘Czerni‚, Am Treptower Park 31, Berlin 1193): »Da es keine Hinweise gibt, daß unter dieser Adresse mehrere Personen existieren, die entweder Mitglied der Synode oder Rechtsanwalt sind — das trifft nur auf den dort ansässigen Lothar de Maizière zu — muß der IMB Czerni mit dieser Person identisch sein.«

Schäuble-Abschlußbericht: »Nimmt man hinzu, (...) daß auf der Karteikarte F 78 unter dem Decknamen ‘Czerni‚ die Adresse von de Maizière angegeben ist, so überwiegt der Eindruck, daß ‘Czerni‚ und de Maizière identisch waren.«

Gauck-Bericht: »...ließ der Mitarbeiter der Abt. XX Hasse am 22.9.1981 einen IM-Vorlauf unter dem Decknamen ‘Junior‚ registrieren. Ca. drei Monate später erfolgte durch die Abt. XII die Umregistrierung des IM-Vorlaufs ‘Junior‚ zum IM- Vorgang ‘Czerni‚, Kategorie IMS (Inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit).

[...] Die Umbenennung des Decknamens erklärt sich daraus, daß während der Vorlaufphase aus Gründen der Konspiration der zuständige Mitarbeiter einen vorläufigen Decknamen wählt, den der IM-Kandidat nicht kennt. Erst mit der erfolgten Werbung — bei ‘Czerni‚ wurde diese am 3.12.1981 in der Abt. XII registriert — erfolgt in Absprache zwischen dem IM und dem Mitarbeiter die Festlegung eines endgültigen Decknamens, den sich der IM auch selbst aussuchen kann. [...] Am 14.9.1984, also rund drei Jahre nach der Werbung des IM ‘Czerni‚, erfolgte seine Umregistrierung in die Kategorie IMB, was gemäß der Richtlinie 1/79 immer dann zu erfolgen hatte, wenn der IM entweder direkt zur Bearbeitung von Personen oder zur Bearbeitung ‘feindlicher‚ Organisationen/Einrichtungen eingesetzt wurde. ‘Czernis‚ Einstufung als IMB drückte aus, daß er im Verlaufe von ca. drei Jahren eine höhere Wertigkeit für die inoffizielle Zusammenarbeit erhalten, also eine Qualifizierung durchlaufen hatte.«

Schäuble-Abschlußbericht: »...so ist nicht auszuschließen, daß de Maizière davon ausging, bei diesen Gesprächen die Position der evangelischen Kirche zu vertreten und nicht für das MfS tätig zu sein und daß er nicht damit rechnete, als informeller Mitarbeiter eingestuft zu werden.«

Gauck-Bericht: »IMB Czerni sollte nicht nur auf dem Gebiet der Kirche eingesetzt werden. Wenn es dazu auch keine konkrete Zielstellung gab, war er gemäß Arbeitsplan 1989 [der Stasi-Abt. XX), d.Red.] auch einzusetzen zur ‘Sicherung‚ bzw. Bearbeitung bevorrechtigter Personen — ausländische diplomatische Vertretungen sowie akkreditierte Korrespondenten bzw. Jorunalisten. [...] Gegenüber 1988 wurde jedenfalls das Arbeitsgebiet von ‘Czerni‚ erweitert.

[...] Die vor allem von Hasse verfaßten Informationen, z.B. über Tagungen der Synode, lassen aber keinen Zweifel zu, daß ‘Czerni‚ im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS äußerst brisante und aktuelle Materialien über innere Vorgänge in der Ev. Kirche sowie über einflußreiche kirchenleitende Kräfte erarbeitet haben dürfte. Hasse bezog sich in der Regel nur auf eine Quelle. Zumindest bei Informationen über synodale Fragen kann das nach Lage der Dinge nur ‘Czerni‚ gewesen sein, da Hasse nur einen IMB führte, der Synodaler war. Die Recherche gibt her, daß der Führungsoffizier von ‘Czerni‚ in der Lage war, manchmal innerhalb eines Tages über den Verlauf von Synodaltagungen zusammenfassende Informationen MfS-intern abzusetzen.«

Schäuble-Abschlußbericht: »Um zum Inhalt der Gespräche mit ‘Czerni‚ mehr sagen zu können, kann nur auf die Aussage von Hasse zurückgegriffen werden. Dieser hat erklärt, daß zentraler Punkt der Gespräche mit ‘Czerni‚ das Verhältnis Kirche-Staat gewesen sei [...] Dabei sei es de Maizière steht's darum gegangen, die Problemfelder zu verdeutlichen und Verständnis durch die staatlichen Organe zu finden...«

P.S.: Nicht in dem Gauck-Bericht verwertet ist der anonyme Bekennerbrief eines Stasi-Hauptamtlichen vom 10.1.1990, der damals schon — fast ein Jahr vor der Aktensichtung — angab, daß oft noch nachts nach einer Kirchentagung die IM-Treffen mit de Maizière in konspirativen Wohnungen stattfanden. (vgl. taz 16.3.91) Diese Aussage würde die Schnelligkeit erklären, mit der Stasi-Major Hasse berichten konnte. K.W.