»Sie haben sozusagen die Wahl...«

Überregionales Einkaufszentrum für Halle/ Bürger werden einbezogen, nachdem die Entscheidungen gefallen sind  ■ Von Steve Körner

Halle. Fritz Otten ist »so ein typischer Wessi«. Murmelt jedenfalls eine Frau in der zweiten Bankreihe beim ersten Blick aufs Präsidium. Grönemeyerscheitel und italienische Schuhe, marineblaues Jackett und dazu dieser sympathische Ruhrpottrhythmus in der Stimme. Fritz Otten ist leitender Architekt der Dortmunder Ladenkette »Allkauf«, die sich nun schon ein Jahr lang bemüht, einen Billigmarkt irgendwo in Halle zu errichten. »Irgendein Platz draußen vor der Stadt«, meint Fritz Ottens großer Bruder Albert, gleichzeitig Geschäftsführer der von Vater Heinz dirigierten Firma, »wäre uns am liebsten gewesen.«

Die Stadtplaner der Saalestadt aber wollten es anders. Nicht die Fehler vieler westlicher Kommunen möchte man nachmachen und die Discountmärkte draußen vor der Stadt ansiedeln, sondern aus deren Erfahrungen lernen. »Nach unseren Vorstellungen ist ein Kompromiß zwischen dem Bestreben der einschlägigen Anbieter, große Märkte zu errichten, und der von uns favorisierten innerstädtischen Lage nicht unmöglich«, meint Frau Brachlebe vom Stadtplanungsamt. Im Hinterkopf hat die Frau im Wollpullover und Turnschuhen »auch künftig Fahrzeuglose« wie Senioren und kinderreiche Familien. »Die wollen ja schließlich später auch mal billig einkaufen, nicht wahr?« »Die Leute von ihrer Städteplanung hier«, erzählt derweil Albert Otten den drei Dutzend Hallensern, die der Einladung des revolutionsrudimentären »Bürgerkomitees Am Südpark« gefolgt und nun gewillt sind, die Baupläne der Ottens zu diskutieren, »die Städteplaner also haben zu uns gesagt: Holt eure Kaufhalle ans Wohngebiet ran, dann kommen wir ins Geschäft«.

Und mehr als das. Keinen simplen Betonklotz möchte man den Leuten in Halles sowieso am engsten bebauten Neubaugebiet »Am Südpark« vor die Nase gesetzt sehen. Nein, keinesfalls. Ohnehin sind die Häuser hier höher, Bäume seltener und die Straßenzüge durch Müll, Dreck und Autos noch trostloser als sonst irgendwo in der ehemals eigenständigen »Chemiearbeiterstadt«. Hierher paßt »Allkauf« nicht. Doch der »Südpark« liegt eben an der kaufmännisch hochinteressanten Ausfallstraße nach Merseburg und verfügt außerdem über eine etwa hundert mal hundert Meter große Freifläche. Die einzige weit und breit.

In der Bevölkerung sind die Meinungen seit Monaten geteilt: Soll man die bisherige Brachfläche nun zum Park machen? Oder lieber einen Schlag gleich ein paar hundert der so dringend benötigten Parkflächen schaffen? Die Diskussion war durchaus noch nicht entschieden, neigte sich aber doch eher dem Park zu — da plötzlich platzen die Ottens mit ihrem Supermarktprojekt herein. Dazu wollen sie nun ihre Meinung sagen, die Hallenser. Und: »Sie sollen ja mitbestimmen!« heißt es aufmunternd vom Vertreter der Stadtverwaltung, »deshalb beziehen wir sie ja bereits in diesem Planungsstadium mit ein!« Die beiden Ottens haben — um den »Damen und Herren« die Entscheidung zu erleichtern — etliche bunte Karten und niedliche Modelle mitgebracht. Architekt Fritz gibt sich alle Mühe, seine Bemühungen, »den erforderlichen großen Baukörper« von Stücker 5.000 Quadratmetern hinter Backsteinfassaden und an mittelalterliche Raubritterburgen gemahnende Zinnen zu verstecken, ins rechte Licht zu rücken.

»Fußläufige Passagen, Lindenarkaden — ich habe das aufgelockert, soweit es möglich war«, gesteht der Junior der Otten-Dynastie, »und Sie sehen, das Ergebnis ist weit weniger streng, als sie vielleicht erwartet hatten.« Wirklich, befindet die Dame in der zweiten Reihe und auch der Rest des Klassenzimmers nickt mehr oder weniger heftig. »Ja, das sieht schon irgendwie gut aus.« Was den Bürgerinnen und Bürgern weit weniger gefällt, ist die von Alfred O. mit erschießender Ehrlichkeit vorgebrachte Mitteilung, daß »Allkauf« die 350 Parkplätze, die man an der Rückseite des Gebäudes zu schaffen gedenkt, ausschließlich seinen Kunden zur Nutzung vorbehalten möchte. Na sicher könne man da notfalls noch verhandeln, beschwichtigt Alfred Otten das widerwillige Murren des Publikums. Allerdings schnell unterbrochen vom skeptischen Zwischenruf eines älteren Herren: »Versprechen Sie mal nicht so viel — wir wissen genug vom Kapitalismus, daß wir doch kein Wort glauben!«

Die Stimmung schlägt um. Was nützt es den »Allkauf«-Leuten und den Abgesandten der Stadtverwaltung nun noch, daß sie alle Bedenken hinsichtlich zu großer Lärmbelästigung ausräumen können? Und ganz zum Schluß auch noch 200 funkelnagelneu geschaffene Arbeitsplätze auf den Tisch des Hauses gepackt werden können? Gar nix. Ob denn nicht eine Dachbegrünung möglich wäre? Ob nicht 60.000 Artikel im Angebot ein bißchen viel wären? Die Südparker kommen jetzt mit immer neuen Einwänden. Einem gezopften Burschen aus der letzten Stuhlreihe bleibt es überlassen, die grundsätzliche Frage zu stellen: »Wozu brauchen wir hier eigentlich so einen Riesensupermarkt? Wor wir doch schon eine Kaufhalle haben?« Und ein eher amtlich aussehender Schweiger neben ihm fügt mürrisch hinzu, daß er es »nicht für günstig« halte, »jetzt hier alles zuzubauen«. Und wo, meint der Herr, sollen denn dann unsere Kinder spielen?

Otten wehrt sich nach Kräften. Man sei von der Größe her schon an die Untergrenze des Möglichen gegangen! »Kleiner, nein, kleiner können wir nicht«, erzählt Alfred, »das rechnet sich dann alles nicht mehr«. Natürlich, nur für das Wohngebiet wäre die »Anlage« zu »reichlich«. Aber zugegeben, man schiele schon irgendwie auf auswärtige Kundschaft, wolle möglichst viele Vorbeifahrer fangen. Denn »das ist unsere Stärke« (F.O.). Das Volk aber, einmal aufgerufen mitzubestimmen, geht auf die Barrikaden und weigert sich verstockt, wieder runterzukommen. »Ihre Rechnungen in allen Ehren, Herr Otten — aber ich glaube, sie rechnen sich für uns Bürger nicht«, kommt es postwendend von hinten zurück.

Alfred, nun doch sichtlich nervös geworden, versucht die »aber-sie- sind-doch-von-der-Verkaufsfläche- pro-Kopf-her-gesehen-völlig-unterversorgt«-Nummer. Allein, auch dieser letzte Schachzug vermag das drohende Matt nicht mehr abzuwenden. »Allkauf«-Otten, Motto »Für mehr Lebensqualität«, ist stehend k.o.

Doch nun schlägt die große Stunde der Verwaltungsabordnung. »Lassen Sie es mich so sagen«, meint die gestrenge Gesandte der Stadtregierung, »diese Freifläche, um die es da geht, ist als künftiges Gewerbegebiet auch von der Stadtverordnetenversammlung bestätigt. Daß hier also kein Park oder so etwas hinkommt, sondern über kurz oder lang gebaut werden wird, das ist erst einmal klar.« Die Stadt braucht die Steuern, kann es sich nicht leisten, gefragte Flächen wie die im Südpark brach liegen zu lassen. Angebote, so vernehmen die verdutzten Einwohner, lägen bislang von Tankstellen, Autowaschanlagen und verschiedenen Handwerken vor. »Sie haben«, sagt die Frau von der Stadt, »jetzt sozusagen die Wahl zu sagen, was Sie lieber hätten...« Die Bürger nörgeln noch ein bißchen. Und sagen dann »Allkauf«. Natürlich.