Piano, fast klassisch

■ Der Bilderbuch-Virtuose Joachim Kühn spielte im Kito auf dem Steinway-Flügel

Wenn die Finger über die Tasten fegen, zuckt, dreht oder krümmt sich sein ganzer Körper und die Künstlermähne wogt stürmisch mit. Bei den leisen Stellen kriecht er fast ins Instrument hinein, beim fortissimo reckt er den Hals, und blickt wild triumphierend herab auf das edle, doch bezwungene Instrument. Das sind die uralten Klischees, die uns zum Klaviervirtuosen einfallen (schon von Wilhelm Busch gibt es eine entsprechende Reihe von Zeichnungen) und es ist immer wieder schön, wenn sie durch die Realität bestätigt werden.

Joachim Kühn ist solch ein Pianist aus dem Bilderbuch, und daß er nicht Chopin sondern Coltrane spielt, ändert nichts am Nimbus des wirbelnden Tastenkünstlers. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Da ist nichts Lächerliches oder Aufgesetztes an Kühns Auftritten; wenn er spielt, wirkt er wie selbstvergessen, versunken in die Klänge, die ihn umrauschen und ganz fern der Wirkung, die er auslöst. Die sehr konzentrierte, fast weihevolle Stimmung des Publikums bei seinen Konzerten entsteht durch seine Musik, eher trotz des filmreifen Air eines Genius.

Der Steinway klang im engen Kito direkt unter dem Holzdach etwas merkwürdig, aber Kühn war offensichtlich sehr zufrieden mit dem Instrument. In seinen Kompositionen überschritt er frei die gängigen Stilgrenzen: mal erinnerte er an die Romantik eines Schubert; mal wurde eine Ballade zu minimalistischen Partikeln reduziert, und wie eine Erleichterung setzt der Blues in den Resonanzen der Bass-Saiten ein.

Kühn baut immer wieder solche dramatischen Spannungen auf, und löst sie dann auf eine überraschende und wunderschöne Weise wieder auf. So greift er ins Piano und dämpft einige Saiten, die dann klingen wie ein afrikanisches Daumenklavier. Oder er schlägt hohe Tone an und läßt eine andere Saite mitschwingen, wodurch ein merkwürdiger, fast elektronisch klingender Effekt entsteht. In bester Tradition eines Cecil Taylor schlägt er auch mal mit der ganzen Hand auf die Tasten, oder wischt mit einer Bewegung über mehrere Oktaven hinweg.

Seine schnell perlende rechte Hand zusammen mit den kräftigen rhythmischen Mustern der Linken erinnert oft an McCoy Tyner, aber dann gibt es wieder spannende Wechsel und bizarre technische Finessen, wie sie nur Joachim Kühn spielen kann. Auch wenn er sich am Piano so gebärdet, wie sich Klein Erna einen Virtuosen vorstellt, in seiner Musik bleibt er nicht bei den Klischees stehen.

Willy Taub