Marktführer Osram wickelt mit

■ Der Fall Narva/Vilum, ein Fortsetzungsroman aus der freien Marktwirtschaft — 3. Lieferung

Über die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Flugzeugabsturz des Berliner »Langlebensdauerglühlampen«-Erfinders Dieter Binninger gibt es seit dem 5. März nur wenig Neues zu sagen. Die »kleine Ermittlungsgruppe« in Helmstedt hat den Fall an ihre DDR-Kollegen in Schönebeck abgegeben, verantwortlich ist jetzt die Staatsanwältin in Haldensleben, die demnächst nach Stendal versetzt wird; die technischen Aspekte des Unfalls werden nach wie vor von einer Arbeitsgruppe im Luftfahrt-Bundesamt Braunschweig untersucht, das erst in einigen Monaten konkrete Ergebnisse vorlegen wird.

Allem Anschein nach steuerte Dieter Binninger seine einmotorige Maschine selbst, sein Sohn Boris saß neben ihm, während der Ex-NVA- Pilot sich hinten im Fond der Tobago B10 aufhielt. Laut einiger Zeugenaussagen soll der 54jährige Binninger, der seit 1986 einen Flugschein besaß, kein »sehr sorgfältiger Flieger« gewesen sein — man bezeichnete ihn vorsichtig als »risikofreudig«. Dies legt nahe, von »fliegerischem Fehlverhalten« als Absturzursache zu sprechen. Ermittlungen am Startort, dem Flugplatz der 5. Luftwaffendivision in Strausberg bei Berlin, ergaben ebenfalls bisher keine Anhaltspunkte für einen »gA« (=geplanten Absturz): Neben dem mitfliegenden Fluglehrer Lothar Scholz war noch ein zweiter Pilot an den Flugvorbereitungen und der Betankung beteiligt gewesen, er gilt als zuverlässiger und sorgfältiger Mann und war Dieter Binninger bekannt, da er bis vor einigen Wochen für ihn gearbeitet hatte — in beidseitigem Einverständnis war dann das Arbeitsverhältnis gekündigt worden. Binninger hatte für seine Maschine, die vorher in Tempelhof stand, einen Platz im Hangar des Strausberger Flughafens gemietet. Es gab Pläne, wonach der vielseitige Berliner Erfinder dort weitere Einrichtungen anmieten wollte, um damit eine private Fluggesellschaft aufzubauen, ähnliches war laut 'Morgenpost‘ vom 7.3. in der Nähe von Helmstedt geplant. Ein Schöneberger Reisebüro beschäftigte sich mit der Ausarbeitung einiger Kurzreise-Angebote für Binningers Firma »Flugcharter 1990«.

Wir hatten uns für die Hintergründe seines Unfalls im Todesstreifen bei Helmstedt deswegen interessiert, weil er einige Tage zuvor gerade zusammen mit der Berliner Commerzbank ein »Übernahmeangebot« für den Ostberliner Lichttechnik-Konzern Narwa bei der Treuhandanstalt abgegeben hatte. Dort — bei Narva — ließ er bereits seit Herbst letzten Jahres seine Langlebensdauerglühlampen produzieren. Am gleichen Tag, an dem wir an dieser Stelle über seinen Unfall berichteten, erschien — via 'dpa‘ — eine Meldung des Osram-Konzerns, in der der Vorsitzende der Geschäftsführung des Siemens-Unternehmens verlauten ließ, Osram würde sich nicht an der Narva-Ausschreibung beteiligen, das Angebot, dort fünf bis sechs Allgebrauchslampen-Fertigungslinien samt Bedienungspersonal zu übernehmen, stünde aber nach wie vor. Diese Meldung war gut getimet: kurz vor der entscheidenden »Aussprache über Narva« bei der Treuhand und — was man bei Osram allerdings nicht wissen konnte — kurz vor der Besprechung zwischen Binningers Firma »Vilum« und der Commerzbank, in der es u.a. darum ging, ob das Narva-Kaufangebot aufrechterhalten werden sollte nach dem Tod von Binninger senior und junior. Osram vermeldete außerdem, daß sie bereits 50 Prozent des DDR-Marktes »erobert« hätten (was einem Marktvolumen von etwa 45 Millionen entspräche), wegen des »härteren Konkurrenzkampfes am Lampenmarkt« und der »Billig-Importe aus Osteuropa« würden sie aber zusehends unter »Ertragsdruck« geraten.

Nicht erwähnt wurde in der 'dpa‘- Meldung, daß der Konzern schon seit langem — in weiser Voraussicht — mehrere Manager in der Treuhand plaziert hatte, und zwar ausgerechnet in der für die Narva-Privatisierung zuständigen »Horst-Plaschen- Gruppe«. Diese hatte dann auch ganz im Sinne Osrams zu Anfang des Jahres bereits einen »Schließungsbeschluß« für Narva erwirkt, der dann jedoch von einem »externen Privatisierungsteam« der Treuhand, das gleichzeitig auf dem internationalen Markt mit Narva-Interessenten verhandelte, wieder rückgängig gemacht werden konnte. Während also der Siemens-Konzern intern auf Liquidierung des Berliner Glühlampenwerks (BGW) hinarbeitete, ließ er extern — über das Glühlampenkartell IEA in Pully bei Lausanne— überall in der Branche verbreiten, daß Narva von seiner hundertprozentigen Tochter Osram übernommen werde, daß das BGW bereits so gut wie gekauft sei, was natürlich dem »externen Privatisierungsteam«, das unlängst Tungsram Budapest an General Electric verkauft hatte, die Verhandlungen über Narva nicht gerade erleichterte. Hinzu kam und kommt in diesem Fall noch erschwerend das völlige Fehlen einer eigenständigen Strukturpolitik des Berliner Senats, der es bisher nur zum lächerlichen Erfüllungsgehilfen einiger Konsumenten-Forderungen (Abschaffung der Busspur, des Tempolimits, Hundeüberwachung des U-Bahn-Verkehrs etc.) gebracht hat. Auch die IG Metall, die gerade für den Osten Billiglohngruppen von 51,3 bis 62,5 Prozent gegenüber dem Westen mit einer Laufzeit von drei Jahren festgeschrieben hat, kann man nicht gerade als kampfentschlossenen Interessenverband der Narva-Beschäftigten bezeichnen. Während die ehemalige Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ die erbosten Werktätigen vor einem voreiligen Austritt aus der IG Metall warnt, fordert die 'Berliner Zeitung‘ »mehr Ostdeutsche« in die Gewerkschaftsleitung.

Heute, Dienstag, und übermorgen findet eine Belegschafts-Vollversammlung des Berliner Glühlampenwerkes im »Kosmos«-Kino statt. Dort wird man wahrscheinlich neben dem Commerzbank-Angebot auch den zweiten Kaufantrag — von einem asiatischen Unternehmen, eingefädelt vom österreichischen Narva-Berater Hegele — diskutieren. Außerdem bedarf es eines gewissen Drucks auf die Treuhand — zur Übernahme von Exportbürgschaften, um den seit der Umstellung auf harte Währung völlig zusammengebrochenen Hochdrucklampen-Export in die Sowjetunion wiederanzukurbeln. Daß die Narva-Allgebrauchslampen zugunsten von Osram vorsätzlich, mit Beginn der »Partnerschaft« zwischen den HO-Läden und den westdeutschen Supermarktketten, aus den Regalen verschwanden, steht für die ehemalige Narva-Kombinats-Justitiarin außer Zweifel; auch in einigen Wirtschaftsministerien der Fünf Neuen Länder scheint man von der Existenz solch wettbewerbsschädigender Verträge überzeugt zu sein— im Berliner Bundeskartellamt liegen jedoch dazu »keine Erkenntnisse« vor. Wie dem auch sei, gut verkaufen lassen sich bei Narva derzeit einzig die Kompaktleuchtstofflampen, die seit einigen Monaten auf einer bereits 1988 bei Osram bestellten 20 Millionen DM teuren Anlage produziert werden: Ein Großteil dieser Produktion wird jedoch — wenigstens für ein Jahr — laut 'Süddeutsche Zeitung‘ von Osram selbst »abgenommen«. Daneben nahm der westdeutsche Konzern auch noch 286 Fachkräfte von Narva seit der Wende ab. Durch diese und andere Geschäftsaktivitäten konnten im 1. Quartal der neuen Periode die Einnahmen bei Osram »planmäßig« um nominal 7 Prozent erhöht werden, wie die Geschäftsleitung bekanntgab. Da der Siemens-Konzern mehr an Subventionen bekommt, als er Steuern zahlt (gerade wurde — wahrscheinlich ohne Ausschreibung— ein Großteil der neuen DDR-Behörden mit Siemens-Computern ausgerüstet), also die Siemens-Interessen obenan in der Politik der wichtigen Bonner Ministerien berücksichtigt werden, kann man getrost davon ausgehen, daß der einstige Ostberliner Renommierbetrieb Narva quasi gegen den Rest der Welt kämpfen muß, um weiterhin seine Lampen an den Mann bringen zu können. »Daß wir überhaupt noch produzieren und Abnehmer finden, grenzt schon fast an ein Wunder«, meinte denn auch neulich ein Narva-Ingenieur, der allerdings selbst schon auf Null-Stunden- Kurzarbeit gesetzt wurde. Wir berichten weiter. Und erbitten dafür Kritik, Anregungen, Hinweise und Meinungsäußerungen — an: Projektgruppe »BILD kämpft für NARVA«