Wehrpflicht ein Anachronismus

Im Rahmen der sich anbahnendenNeuordnung Europas ist es an der Zeit, sich über das Problem „Bundeswehr“ einige Gedanken zu machen. Es fällt auf, daß die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in steilem Anstieg begriffen ist. Davon beunruhigt ist der Wehrbeauftragte Alfred Biehle, zumal sich unter den Verweigerern nicht nur Wehrpflichtige, sondern in steigendem Maße auch Reservisten befinden. Wie es zu einer derartigen Situation kommen kann, scheint Herrn Biehle unverständlich, da doch am Golf keine deutschen Soldaten eingesetzt worden seien. Unabhängig davon macht sich jeder Mensch in einem Kriegsfalle seine kritischen Gedanken. Über diesem kritischen Nachdenken geschieht es immer wieder, daß aus einem Saulus ein Paulus wird. Das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, ist im Grundgesetz verankert. Wie lange noch? Die Sorge, daß eines Tages nicht mehr genug Soldaten vorhanden sein könnten, um unsere Pflichten der NATO gegenüber dazu erfüllen, ist ohne Belang. Ein altes Sprichwort sagt: „Wo nichts ist, hat auch der Kaiser sein Recht verloren“. Diese alte Weisheit gilt noch immer. In diesem Zusammenhang wäre es am Platze, sich klar zu machen, welchen Nutzen wir von der Zugehörigkeit zu NSTO ziehen. Die Antwort lautet: Keinen. Zu dieser Problematik äußert sich der Flotillenadmiral a.D. Elmar Schmähling in seinem im Econ-Verlag erschienen Buch „Der unmögliche Krieg“ wie folgt. „Ich möchte auch der Politik des Nichtinformierens und Taktik des Verdrehens und Verschleierns entgegentreten. Fehlende oder falsche Information über die Grunlagen der Verteidigung unserer Sicherheit sind eine schwache Krücke für ihre dauerhafte und solide Akzeptanz durch Bürger. Was ist das eigentlich für eine Verteidigung, deren Mittel und Methoden vor den eigenen Bürgern geheimgehalten werden müssen?“

Seit es die Bundeswehr gibt, geistert eine Redensart vom „Staatsbürger in Uniform“ durch Deutschland. Was man sich unter dieser Bezeichnung vorzustellen hat, ist mir bis heute unklar geblieben. Es handelt sich um ein Dogma und Dogmen können mit dem gewöhnlichen Menschenverstand nicht begriffen werden. Im Verlaufe des letzten Jahrhunderts hat sich mit der in immer atemberaubenderer Schnelligkeit fortschreitenden Technik auch der Beruf des Soldaten verändert. Der Flotillenadmiral Schmähling nimmt zu diesem Problem auf Seite 252 seines Buches Stellung: „Mut, Tapferkeit, das in die Gefahr hinein Handeln, das Messen der eigenen physischen Kräfte und taktischen Fähigkeiten mit denen eines Feindes sollten der Vergangenheit angehören. Heute vollzieht sich für die meisten Soldaten der „Kampf“ beziehungslos zum Feind. Was ist der Feind überhaupt? Der „Feind“ reduziert sich auf Zielkoordinaten. Der moderne Krieg räumt dem Soldaten keine Sonderrolle mehr ein. Er kennt keine Front und keine Etappe, er unterscheidet nicht zwischen Soldaten und Nichtkombattanten. In einer von der von der Technik bestimmten Welt wird Krieg zur „Produktion von physischer Zerstörung. „Wie in jedem Produktionsprozeß, in dem moderne Technik eine entscheidende Rolle spielt, ist der Mensch als Bediener auch im Waffensystem aber nur ein Systemglied. Denn eines der westlichen Merkmale der heutigen Bedienung von Waffensystemen ist, daß der einzelne Mensch in einem Mensch-Maschinen-System wirkt, dabei in seinem Funktionieren nicht unmittelbar überwacht werden kann.“

Diese Überlegungen können an Hand des Buches des Flotillenadmirals Schmähling fortgesetzt werden. Schon eine Leseprobe zeigt, daß das Leitbild des Soldaten sich völlig geändert hat. Mit jedem weitern Fortschritt der Naturwissenschaften wird sich auch das Leitbild des Soldaten ändern.

Gegen ein Beibehalten der Wehrpflicht spricht die Tatsache, daß im Gegensatz zu früher eine Truppe mit hohem technischem Niveau benötigt wird. Dieses hohe technische Nieveau ist nur zu halten, wenn eine intensive Weiterbildung Dienstpflicht wird. Das fachliche Können, das heute erforderlich ist, kann nicht in Kurzlehrgängen erworben werden. Zusammenfassend komme ich zu der Feststellung, daß in unserer technisierten Gesellschaft die Verteidigung Aufgabe einer Berufsamee werden muß. Mit der Berufsarmee erledigt sich die Frage nach der Motivation weitgehend von selbst. Wenn jemand den Beruf des Soldaten ergreift, weiß er, was er tut.

Es ist historisch höchste Zeit, die Wehrpflicht in eine Berufsarmee umzuwandeln. Dr. med. Erich Kail, Detmold