Neue Atomdinosaurier

■ Betr.: "Morgenröte für westdeutsche Atomiker", taz vom 13.3.91

Betr.: „Morgenröte für westdeutsche Atomiker“, taz vom 13.3.91

Nach den Stromverträgen, mit denen die Stromversorgung in der früheren DDR putschartig in die Hände der Monopolisten übertragen werden sollte, ist dies der zweite Schritt, den Energiekolonialisten aus dem Westen die lukrative Elektrizitätsversorgung zu übereignen. Ohne Rücksicht auf die Rechte der Kommunen, die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung wollen die westdeutschen Energiekonzerne RWE, BAERNWERK und PREUSSENELEKTRA ihre verfehlte Energiepolitk nun auch auf die frühere DDR übertragen. Bundeswirtschaftsminister Möllemann und die Ministerpräsidenten der Länder Sachsen-Anmhalt und Mecklenburg-Vorpommern unterstützen dieses Vorhaben.

Tatsache ist:

[...] — Atomernergie ist teuer und gefährlich. Teuer, wenn volkswirtschaftlich und nicht betriebswirtschaftlich gerechnet wird. Gefährlich, wie jeder aus Tschernobyl, Harrisburg und Biblis-A weiß. Es gibt weltweit kein sicheres Endlager für Atommüll, aber es gibt weltweit tausende von Strahlenopfern von der Uranförderung bis zum Atommüll.

— Atomenergie hat eine auf expansiven Stromabsatz gerichtete Entwicklungslogik: Neu auf dem Markt ewrscheinende Stromerzeugungstechniken wie industrielle und kommunale Heizkraftwerke, Wind- Solar- und Wasserenergie werden mit allen Mitteln blockiert.

— der umfassende Einstieg in die Nutzung dieser Energieerzeugungsalternativen ist für die AKW-Betreiber betriebwirtschaftlich uninteressant.

— Für AKW-Betreiber besteht ein straker ökonomischer Anreiz, Absatzmärkte aggressiv zu erobern und verteidigen. Die Energiesparpotentiale der Kunden werden behindert oder Einsparaktivitäten nicht gefördert.

— Ein großtechnisches, zentralisiertes Atomstromsystem erfordert eine angebotsorientierte Unternehmensphilosophie und eine Investionsplanung mit entsprechend langen unflexiblen Planungszeiten und steigender Bereitstellung von Reserve- und Transportkapazitäten.

— Jeder Ausbau von Atomkraftwerken führt bei einem normalen AKW-Grundlastanteil von 40-50% zu einer Ausweitung von Mittel- und Spitzenlastkraftwerken auf vorwiegend fossiler Brennstoffbasis. Innerhalb eines angebotsorientierten Systems ergeben sich auch für fossile Kraftwerke absolut höhere Verbrauchszuwächse und Emissionen.

— In einem auf Atomenergie basierenden Energiesystem behindern betriebswirtschaftliche wie organisatorisch-technische Systemzwänge eine forcierte rationelle Energienutzung wegen der fixkostenintensiven Struktur der Atomernergie. Dies gitl insbesondere für bestehende AKW's, aber auch für den Ausbau mit Atomkraftwerken. Das bedeutet: Ist ein AKW erst einmal gebaut, soll es möglichst schnell mit voller Kraft laufen und kurzfristig für die Maximierung von Deckungsbeiträgen für die bereits verausgabten Fixkosten sorgen. Oder anders ausgedrückt: Die gewaltigen in die Atomenergie investierten Kapitalmengen sollen in einem bestimmten Zeitraum an die Investoren zurückfließen und möglichst noch Gewinne einbringen. Jede alternativ erzeugte oder eingesparte Kilowattstunde Strom bedeutet aber eine verhinderte Kilowattstunde Atomstrom und daher einen verhinderten Kapitalrückfluß.

— Oder eben umgekehrt: Jede Kilowattstunde Atomenergie bedeutet tendenziell eine verhinderte Kilowattstunde kraftwärmegekoppelt oder regenerativ erzeugten Stroms und damit höhere spezifische Emissionen bei der Energiebereitstellung für Prozesswärme, für Heizung und Warmwasserbereitstellung durch fossile Energieträger. [...]

— Für AKW-Betreiber besteht ein starker ökonomischer Anreiz, Absatzmärkte aggressiv zu erobern und zu verteidigen. Die Energiesparpotentiale der Kunden werden behindert oder Einsparaktivitäten nicht gefördert. Dies geschieht einmal durch Energieverbrauchstarife, die Einsparmaßnahmen bei unterschreiten bestimmter Verbrauchsmengen durch entsprechend höhere Kleinverbrauchstarife „bestrafen“. Ein weiteres Beispiel hierfür sind die Einspeisevergütungen für regenerativ oder kraftwärmegekoppelt erzeugtem Strom ins „öffentliche Netz“ einspeisender KleinerzeugerInnen. Die AKW-betreibenden EVU zahlen gerade soviel, daß sich die Investition in entsprechende Technologien für KleinerzeugerInnen nicht lohnen.— Ein großtechnisches, zentralisiertes Atomstromsystem erfordert eine engbotsorientierte Unternehmensphilosophie und eine Investitionsplanung mit entsprechend langen unflexiblen Planungszeiten. Dies relativiert übrigens die Beschwörung der Marktwirtschaft gerade durch die großen Energieversorgungsunternehmen. Mit Investitionsplanungen über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren stellt so mancher bundesdeutsche Großkonzern die 5-Jahres-„Planwirtschaft“ einiger osteuropäischer Staaten in den Schatten. Und dies nicht nur im Kapitalvolumen, sondern auch in Punkto Inflexibilität!

Diese Beispiele dürfetn wohl anschaulich belegen, daß die in Greifswald und Stendal geplanten Atomdinosaurier mit Energieeinsparung und Verbesserung der Umweltsituation nichts zu tun haben. Sie sind keine Zukunftsperspektive, sondern Entwicklungslogik der siebziger Jahre. Mit ihrer Errichtung soll der Hebel für die geplante „Renaissance der Atomenergie“ in Westdeutschland geschaffen werden. Eine umweltfreundliche, sozialverträgliche und ressourcenschonende Energieversorgung mit Heizkraftwerken, Blockheizkraftwerken und der Nutzung regenerativer Energiequellen könnte dagegen gerade in der früheren DDR viele Arbeitsplätze erhalten und schaffen. Die neuen KWU- Atomkraftwerke würden jedoch nur wenigen Menschen Arbeit geben — und dies fast ausschließlich im Westen. Wolfgang Kühr, Sprecher der BAG-Energie der Grünen,

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