INTERVIEW
: „Es wird keinen konfessionellen Konflikt im Irak geben“

■ Hai Abu Bilat, Mitglied des Politbüros der Dawa-Partei, dementiert einen iranischen Einfluß bei den Aufständischen im Südirak/ Der Westen soll Saddam Hussein fallen lassen

Die Dawa wurde 1958 gegründet. Sie ist die größte und einflußreichste schiitische Partei im Irak und die „irakischste“ zugleich. Sie ist die erste schiitische Organisation, die sich vom iranischen Einfluß freigeschwommen hat. Ihre Anhänger hat sie vor allem unter Akademikern und Technokraten in den großen Städten, zum Teil auch unter der Arbeiterschaft. In der Erklärung der gegenseitigen Verständigung von 1981 bekennt sie sich auch zur Zusammenarbeit mit säkularen Parteien.

taz: Hat die Dawa die irakische Intifada organisiert?

Abu Bilat: Es war eine spontane Reaktion auf die Unterdrückung, denn es gibt keinerlei Freiheiten im Irak. Das Volk mußte irgendwann einmal explodieren. Wir hatten erwartet und gehofft, daß das früher geschehen würde. Aber die Revolution hat sich verspätet und daran ist auch die ausländische Truppenpräsenz am Golf schuld. Natürlich spielen auch die Oppositionsparteien eine Rolle, sonst hätte die Intifada ja wohl kaum ein solches Ausmaß angenommen.

Welche Rolle spielt die Dawa im Aufstand?

Sie ist die größte Partei im Irak. Die ganze Region ist islamisch, deswegen haben die islamischen Gruppen einen besonderen Einfluß.

Wird der Aufstand durch bewaffnete Gruppen aus dem Iran unterstützt?

Das ist eine bewußt in die Welt gesetzte Lüge. Es gibt Signale, daß die Welt bereit ist, Saddam Hussein statt der irakischen Revolution anzuerkennen. Die einfachste Methode, um die Intifada zu diffamieren, ist zu behaupten, sie sei von außen gesteuert.

Es gibt viele Stimmen im arabischen Raum, die in dem Krieg einen Kreuzzug des Westens gegen die moslemischen Völker gesehen haben. Teilen sie diese Ansicht?

Wir glauben, daß der Krieg nicht Saddam Hussein, sondern das irakische Volk traf. Kuwait hätte auch anders als durch die Zerstörung des Irak befreit werden können. Unser Volk muß jetzt den Preis dafür mit seiner Zukunft bezahlen. Es ist doch nur natürlich, wenn wir das, was passiert ist, mit unseren eigenen Interpretationsmustern zu erklären versuchen. Daher der Begriff des Kreuzzuges. Und dieser Begriff wird solange Gültigkeit behalten, wie uns der Westen nicht das Gegenteil beweist. Das kann er ganz konkret indem er seine Neutralität gegenüber dem, was sich zur Zeit im Irak abspielt, aufgibt und unser Volk unterstützt. Zweitens, indem er Saddam Husseins Regime jegliche Unterstützung versagt und es aus der UNO und allen ihr angeschlossenen Unterorganisationen ausschließt. Und drittens indem der Westen gegenüber jeder zukünftigen Staatsmacht im Irak, die das Volk vertritt, alle Sanktionen und Strafmaßnahmen wieder aufhebt. Und indem er sich viertens am Wiederaufbau beteiligt.

Was denken Sie über die im Südirak stationierten amerikanischen Truppen?

Wir befanden uns als Opposition in einer sehr komplizierten Situation. Der Beschluß Saddam Husseins, Kuwait zu besetzen, war schon aus dem einen Grund illegal, weil das irakische Regime illegal ist. Ohne das Volk zu fragen, beschloß er erst den Krieg und dann die Kapitualtion. Damit hat er unser Land der Zerstörung und dem Verlust seiner Souveränität preisgegeben. Andererseits können wir weder als Moslems noch als Patrioten zulassen, daß irgendeine ausländische Macht in unser Land einfällt. Wir haben sehr deutlich gesagt, daß, wenn der Westen meint, sich hier niederlassen zu können, wir ihn aufgrund der gleichen Logik bekämpfen, mit der wir auch Saddam Hussein bekämpft haben.

Wird der Irak ein zweiter Iran werde?

Ich glaube, der Westen täte gut daran, seine Meinung über den Islam zu ändern. Es gibt viele Facetten des Islam, und die iranische ist nur eine von ihnen. Und selbst die ist heute rationaler als noch in den ersten Jahren nach der Revolution. Wenn der Westen meint, in den Ländern des Ostens gäbe es nichts seiner Kultur Adäquates, so irrt er. Der Islam ist eine flexible Religion, die sich schnell neuen Bedingungen anpassen kann.

Im Irak gibt es Schiiten, Sunniten, Christen. Es gibt Kurden, Assyrer und Turkmenen. Gibt es die Gefahr eines Bürgerkrieges wie im Libanon, falls das Regime Saddam Husseins zusammenbricht?

Von einem Bürgerkrieg träumen die Feinde des Irak. Aber ich glaube nicht, das so etwas passieren wird. Die Gefahr hätte vielleicht bestanden, wenn das Regime nicht so brutal gewesen wäre. Aber es hat seinen Sozialismus, seine Gleichberechtigung vor allem in der Unterdrückung praktiziert. Deswegen hat es im ganzen Volk verloren. Heute ist es zu spät die Karte des Konfessionalismus zu spielen. Ich glaube, die meisten Iraker sind sich der Gefahr bewußt. Deswegen halten sie sich zurück zu sagen: Ich bin Sunnit oder ich bin Schiit. Sie fühlen sich zuallererst als Iraker.

Aber selbst der iranische Staatspräsident Rafsandschani hat während des letzten Freitagsgebets vor einem Bürgerkrieg im Irak gewarnt.

Es gibt tatsächlich einen Krieg zwischen der herrschenden Clique und dem irakischen Volk. Aber es ist kein Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden, zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Säkularisten und Moslems. Es ist ein Krieg zwischen einer nichtlegitimierten Staatsmacht und dem Willen eines ganzen Volkes in all seinen Konfessionen.

Streben sie eine islamische Republik an?

Wenn das Volk eine solche will, wird es eine solche geben.

Haben in einer solchen Republik auch Christen und Säkularisten einen Platz?

Wir glauben an politischen Pluralismus und glauben, daß er mit dem Islam im Einklang steht. Die Christen sind für uns Anhänger des Buches wie wir selber. Säkularisten sind in unserer Gesellschaft eine Randerscheinung. Wenn die politische Unterdrückung aufhört, sind sie frei, den Menschen ihre Gedanken zu erklären. Vielleicht werden sie dann merken, daß ihre Gedanken in der irakischen Wirklichkeit nicht zu realisieren sind. Wenn auch sie dann den Islam wählen, so ist das eine demokratische Entscheidung. Interview: Leila Burharni