De Maizière: Vorwürfe nichts Neues

CDU-Präsidium übt volle Solidarität mit dem inoffiziellen Mitarbeiter „Czerny“/ De Maizière übt sich weiter in Gelassenheit/ Bündnis 90/Grüne mahnen Stasi-Aktengesetz und Auskunftsrecht an  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Auch nach der Veröffentlichung des Originalberichtes des Stasi-Sonderbeauftragten Jochen Gauck hat das Präsidium der Bonner CDU seine „volle Solidariät“ mit Lothar de Maizière bekräftigt. Der Bericht der Gauck-Behörde wurde auszugsweise im 'Spiegel‘ veröffentlicht und kommt zu dem Schluß, daß der stellvertretende CDU-Vorsitzende de Maizière mit jenem von der Stasi geführten inoffiziellen Mitarbeiter (IM) „Czerny“ identisch ist, der für das Spitzelministerium als Topinformant in der evangelischen Kirche der DDR gearbeitet hat. De Maizière selbst trat den neuerlichen Anschuldigungen nur halbherzig entgegen: Mit den spärlichen Worten „Nichts Neues“ und „Wiederholung alter Vorwürfe“ kommentierte er gestern mittag den 'Spiegel‘-Bericht. Er habe auch nicht die Absicht, die „Beweislast umkehren zu lassen“. Stereotyp wiederholte er seine Verteidigungslinie, wonach er mit der Stasi lediglich „über Wehrdienstverweigerungsfragen, über Friedensgeschichten, über die Fürbittandachten und weiß ich was nicht“ gesprochen habe. Zu einer offiziellen Mitarbeit will er sich aber nicht verpflichtet haben.

Innenminister Wolfgang Schäuble und CDU-Generalsekretär Volker Rühe blieben gestern eine Erklärung dafür schuldig, wieso sie in Kenntnis des Gauck-Berichtes den Parteifreund de Maizière vom Vorwurf der Stasi-Mitarbeit entlastet hatten. Nach der Sitzung des Parteipräsidiums hieß es gestern lediglich, es gebe keinen Anlaß, den Beschluß des Parteivorstandes zu widerrufen, mit dem de Maizière innerparteilich rehabilitiert worden war.

Der Bericht des Sonderbeauftragten legt andere Schlußfolgerungen nahe. Ihm zufolge stolperte de Maizière über den stasiinternen Sicherheitswahn. In der zuständigen Abteilung 4 der Hauptabteilung XX der Berliner Stasi-Bezirksverwaltung wurden die Akten über die inoffiziellen Mitarbeiter zwar schon Ende 1989 vernichtet — in einer anderen, der sogenannten Territorialkartei F 78, haben die Adressen der IMs aber überlebt. Angelegt wurde die Kartei, um überprüfen zu können, ob in einem bestimmten Raum auch die IMs anderer Einheiten existierten, auf die man wahlweise zurückgreifen könne oder deren Sicherheit besonders zu beachten wäre.

Anhand der Recherchen des Sonderbeauftragten wird auch deutlich, welchen Stellenwert der IM „Czerny“, dessen erfolgreiche Werbung am 3.12.1981 in den Akten vermerkt wurde, für die Stasi gehabt hat. Die von seinem Führungsoffizier Hasse verfaßten „Informationen, z.B. über Tagungen der Synode, lassen aber keine Zweifel zu, daß ,Czerny‘ im Rahmen seiner inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem MfS äußerst brisante und aktuelle Materialien über innere Vorgänge in der evangelischen Kirche sowie über einflußreiche kirchenleitende Kräfte erarbeitet haben dürfte“. Hasse habe sich in aller Regel nur auf einen Informanten gestützt, und „nach Lage der Dinge kann das nur ,Czerny‘ gewesen sein“.

Belegt wird in den Recherchen der Stasi-Behörde aber auch eine „Umregistrierung“ „Czernys“ vom einfachen IM zum sogenannten „IMB“. Hinter dem „B“ versteckt sich stasiintern der Vermerk, daß der informelle Mitarbeiter auf „feindliche“ Personen oder Organisationen angesetzt war. „Czernys“ Einstufung als IMB am 14.9.1984 drücke aus, „daß er im Verlauf von etwa drei Jahren eine höhere Wertigkeit für die inoffizielle Arbeit erhalten, also eine Qualifizierung durchlaufen hatte“.

Die Bundestagsabgeordnete des Bündnis 90/Grüne, Ingrid Köppe, nahm die Affäre de Maizière gestern zum Anlaß, eine gesetzliche Regelung zum weiteren Umgang mit den Stasi-Akten anzumahnen. Wie die ehemaligen Bürgerkomitees aus der DDR forderte sie ein weitreichendes Aktenauskunfts- und Einsichtsrecht. Sie forderte weiter, an der Einrichtung des Sonderbeauftragten der Bundesregierung festzuhalten — im Gegensatz zu den Vorstellungen der Bürgerkomitees will sie die Stasi-Archive aber zentral verwaltet sehen. Überfällig sei zudem, daß das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt werden müsse. Ehemalige Mitarbeiter der Stasi dürften z.B. nicht als Erzieher, Richter, Lehrer oder Rechtsanwälte weiter tätig werden. Sollten diese Forderungen umgesetzt werden, wäre womöglich de Maizières Rückkehr in seine Rechtsanwaltskanzlei gefährdet.