Neue Wähler aus dem alten Lager

■ Der designierte SPD-Vorsitzende Björn Engholm bezeichnete am Montag die Erneuerung der Arbeitsstrukturen der SPD als "notwendige Etappe auf dem Weg zur politischen Mehrheitsfähigkeit"...

Neue Wähler aus dem alten Lager Der designierte SPD-Vorsitzende Björn Engholm bezeichnete am Montag die Erneuerung der Arbeitsstrukturen der SPD als „notwendige Etappe auf dem Weg zur politischen Mehrheitsfähigkeit“. Um ihre Defizite auf Bundesebene zu kompensieren, will die Partei ihre Organisation schlagkräftiger machen und die SPD neuen gesellschaftlichen Gruppen öffnen.

Björn Engholm lächelte fast Dreiviertel Stunden lang — so lange, wie er brauchte, um den Bonner JournalistInnen vorzustellen, woran er monatelang gewerkelt hat: Karl-Heinz Blessing wird Bundesgeschäftsführer der SPD, Cornelie Sonntag-Wolgast ihre Sprecherin. Und überhaupt soll die Partei ganz neu organisiert werden. Dies beschied der designierte SPD-Vorsitzende und schleswig-holsteinische Ministerpräsident gestern nach einer Sitzung des Parteivorstandes in Bonn. Zurückhaltend, wie es seine Art ist, pries Engholm sich vor allem dafür, Karl-Heinz Blessing zum verantwortlichen Organisator der angekündigten Parteireform erwählt zu haben: Er sei jung, könne organisieren, komme aus der Gewerkschaft. Cornelia Sonntag-Wolgast werde als Bundestagsabgeordnete und Sprecherin die Brücke zwischen Partei und Bundestagsfraktion schlagen. Und die Reform der Partei werde keinen ausschließen, sondern alle einbinden. In der Tat, was Björn Engholm gestern in Bonn öffentlich festlegte, kann so richtig fast niemanden in der Partei gegen ihn und seinen Kurs aufbringen. Richtig begeistern freilich wird es ebenso wenige.

Zum Beispiel Karl-Heinz Blessing. Daß er künftig die Geschäfte der Sozialdemokraten führen wird, dürfte dem gewerkschaftlichen Lager gefallen. Der 33jährige ist Funktionär der IG Metall und gilt als „rechte Hand“, als „Schatten“ seines Vorsitzenden Franz Steinkühler. Doch nicht nur die gewerkschaftsnahen Sozialdemokraten scheinen's zufrieden. Kaum war es raus, daß der Nachfolger von Anke Fuchs Karl- Heinz Blessing heißt, begeisterten sich öffentlich die Jusos: „Ein ermutigendes Zeichen“, schwärmte ihr neuer Vorsitzender Ralf Ludwig. Außer für sein gewerkschaftliches Engagement lobte der aus dem rechten Flügel der Jugendorganisation stammende Ludwig den designierten Geschäftsführer auch hierfür: „Wenn Blessing einmal kein Strategiepapier verfaßt, sitzt er in der Ecke und rollt sich eine selbstgedrehte Zigarette. Das unterscheidet ihn vom großen Pfeifenraucher aus Kiel.“

Mit Engholms Wahl einverstanden müssen sich vor dem gestrigen Tag auch noch zwei andere wichtige Parteiflügel gezeigt haben. Die nordrhein-westfälische SPD und Oskar Lafontaine samt Gefolgschaft. Schließlich murrten nicht einmal die Linken ob Engholms Wahl. Da komme noch Kritik, meinte gestern zwar das Präsidiumsmitglied Peter von Oertzen. Doch schon weil sie nur noch sehr klein ist, wird Karl-Heinz Blessing aus dieser Ecke gewiß nicht gestört, gar boykottiert werden. Was sie an Blessing auszusetzen haben, munkelten Sozialdemokraten gestern in Bonn nur ganz vorsichtig und hinter vorgehaltener Hand: Er sei doch noch sehr jung, habe keine Erfahrung mit der Bonner SPD-Zentrale, überhaupt wisse man von ihm als Parteimenschen recht wenig.

Einschlägig kommentiert wurde diese Personalentscheidung Engholms jedoch fast ebensowenig wie das, was er als neues Konzept seiner Partei vorstellte. „Die SPD in den 90er Jahren: offen, kompetent, mehrheitsfähig“ — unter diesem Motto trug Björn Engholm gestern vor, was seine Umgebung als „eine der nicht beliebig vielen Chancen, die die SPD hat“, bezeichnete: Leitlinien dafür, wie die Partei neu organisiert werden muß. Für wie wichtig er dies hält, demonstrierte Engholm den Bonner JournalistInnen mit seinem ersten wie mit seinem letzten Satz: Die Bundesregierung sei stark „dezimiert“; die Chancen für die SPD stiegen; gleichzeitig stünde die Partei jedoch vor großen Schwierigkeiten. Sie zu meistern, entscheide über die „Zukunftsfähigkeit“ der Partei. Die „Schwierigkeiten“ packte Engholm in ein Bild, das seine Berater schon seit geraumer Zeit herumzeigen, um klarzumachen, worum es dem künftigen Parteivorsitzenden geht: den großen gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre, so Engholm, habe die SPD mitbewirkt. Sie selbst habe sich jedoch nicht gleichzeitig entwickelt. Nun müsse sie diesen Wandel, diese Erfolge als Partei einholen. Sie müsse eine Partei des breiten gesellschaftlichen Bündnisses werden, müsse ihre Parteiarbeit so organisieren, daß alle Menschen sich zukünftig willkommen fühlten. Im Osten Deutschlands, wo das System vor dem Zusammenbruch stehe, gelte es zu erkennen, daß es „für geistige Währungen kein Umstellungsdatum gibt. Und darum darf es auch keinen westlichen Hochmut geben.“

Um die Chancen der Partei zu erhöhen, müsse die Parteiarbeit neu organisiert werden. Davon, wie dies geschehen soll, präsentierte Engholm eher allgemeine Vorstellungen: Es müsse der Vorsitzende die Partei ohne „autoritäre Allüren“ führen. Führen heiße Teamarbeit leisten. Notwendig sei es, „Sachverstand von außen“ in die SPD zu holen. Es gelte, sich nicht zu verzetteln, sondern sich auf bestimmte Themen zu konzentrieren — die „Organisation der Friedfertigkeit innerhalb und außerhalb Deutschlands“ etwa, die ökologische Erneuerung der Volkswirtschaft, die gerechte Verteilung des Wohlstandes. Dem „Verzetteln“ will Engholm so beikommen: Die Parteistrukturen müßten effizienter werden. Deshalb seien die Parteigremien zu verkleinern, dem Parteirat müsse künftig mehr möglich sein. SPD-Kommissionen sollten künftig „querschnittsorientierter“ arbeiten. Ganz wichtig sei es, die Zusammenarbeit zwischen Partei, Fraktion und den Ländern zu verbessern, um Reibungsverluste zu vermeiden. Überhaupt stellt Engholm als „Ziele der Organisationsreform“ dies dar: weniger Hierarchie. „Unsere Hierarchie ist derzeit zu stark ausgeprägt. Sie muß flacher werden.“ Ferdos Forudastan, Bonn