NS-Verbrecher bleibt unbestraft

■ Revisionsprozeß um die Frage „Mord“ oder „Totschlag“ nach zehn Jahren wegen Formfehler geplatzt

Hannover (taz) — Der vor dem Landgericht Hannover angeklagte Heinrich Niemeyer, der nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft mindestens zehn jüdische Häftlinge aus einem Nebenlager von Auschwitz umgebracht hat, wird voraussichtlich unbestraft bleiben. Nach 331 Verhandlungstagen und fast zehn Jahre nach Beginn des Verfahrens ist der zweite Mordprozeß gegen den 69-jährigen ehemaligen SS- Rottenführer jetzt geplatzt. DieSchwurgerichtskammer des Landgerichts stellte per Beschluß fest, daß im Jahre 1981 die Schöffen für das Verfahren nicht vorschriftsmäßig ausgelost worden waren. „Da die Kammer von vornherein nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen ist“, so erklärte gestern die Sprecherin des Landgerichts Hannover, „könnte das Verfahren nur fortgesetzt werden, wenn die gesamte Hauptverhandlung in neuer Besetzung wiederholt wird“. Über einen Abbruch des Prozesses habe die Schwurgerichtskammer zwar noch nicht entscheiden, sagte die Justizsprecherin; denkbar sei jedoch, daß das Verfahren wegen seiner überlangen Dauer auf Grundlage der Menschenrechtskonvention gänzlich eingestellt werde.

Niemeyer war bereits im Jahre 1979 wegen der Erschießung von jüdischen Häftlingen als Mörder zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof allerdings mit der Begründung aufgehoben, daß die Erschießungen möglicherweise nicht als Mord sondern nur als Totschlag anzusehen seien.

In dem zweiten Verfahren vor dem hannoverschen Schwurgericht wurde die Anklage dann nach erneuten Zeugenvernehmungen erweitert. Niemeyer mußte sich jetzt wegen der Erschießung von insgesamt 15 jüdischen Häftlingen verantworten. Schlagzeilen machte der Prozeß allerdings nur durch die zahlreichen Reisen, die die Kammer, die Anklagevertreter und die Verteidigung unternahmen, um im Ausland lebende Zeugen zu vernehmen. Am Ende des Verfahrens galt der Angeklagte nur noch als bedingt verhandlungsfähig. Die Schwurgerichtskammer setzte das Verfahren in den letzten Monaten oft nur noch in Kurzterminen fort.

Die falsche Besetzung des Gerichts wurde erst von der Verteidigung gerügt, als nach fast zehnjähriger Dauer der Prozeß dann doch noch mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft zu Ende gehen sollte. Der Rüge der Verteidigung schloß sich die Staatsanwaltschaft an. Ohne über die Berechtigung des Antrages der Verteidigung zu entscheiden, überprüfte schließlich die Schwurgerichtskammer am Ende selbst die Schöffenwahl aus dem Jahre 1981. Dabei stieß sie auf den Tatbestand, daß bei der Auslosung nur 24 von 60 möglichen Schöffen berücksichtigt worden waren. ü.o.