Christa Wolf wurde 62 Jahre alt: „Mit Hoffen aufgehört“

Christa Wolf im Defa-Dokumentarfilm: „Ich habe wohl nicht in dem Maße gesehen, daß die Zerstörung oft auch in den Menschen, die Beschädigungen durch diese 40 Jahre, so stark waren, daß die Menschen nicht bereit waren, daran noch einmal anzuknüpfen“  ■ Von Wilfried Mommert

Eine deutsche Schriftstellerin hat sich zurückgezogen und ist seit dem Umbruch in ihrem schließlich untergegangenen Land DDR in einem kritischen Dialog mit sich selbst: Christa Wolf, die seit der Veröffentlichung ihrer Erzählung Was bleibt plötzlich vor allem im Westen Deutschlands zum Teil heftig angegriffen wurde, stellt sich in einem Defa-Dokumentarfilm mit dem Titel Zeitschleifen (von Daniela Dahn und Karlheinz Mund) 100 Minuten lang den offenen Fragen einer Freundin.

Den Umsturz in der damaligen DDR bezeichnet Christa Wolf heute als „Volkserhebung“, die zum Sturz des Regimes geführt habe. Mit dem bereits im Frühjahr 1989 beginnenden massenhaften Exodus vor allem junger Menschen aus der DDR über Drittländer habe sie erkannt, daß es „keine Bindung der jungen Leute an dieses Land gab, das hatte ich vorher so klar nicht gesehen, das war das Urteil für die DDR“. Und rückblickend räumt sie auch ein: „Ich habe wohl nicht in dem Maße gesehen, wie ich hätte sehen sollen, daß die Zerstörung in dem Land, oft auch in den Menschen, die Beschädigungen durch diese 40 Jahre so stark waren, daß die Menschen nicht bereit waren, daran noch einmal anzuknüpfen.“

Ihr würden nun ihre Hoffnungen vorgehalten, die noch längere Zeit auf eine eigenständige „demokratisch-humanistische“ Entwicklung der DDR gerichtet gewesen seien. Kurioserweise habe man ihr beim Erscheinen ihres Buches Der geteilte Himmel 1963 in der DDR von offizieller Seite den Vorwurf gemacht, „ich trauere zu sehr um die Teilung Deutschlands“, erzählt die Autorin, um dann wieder in die jüngste Vergangenheit, in den Herbst 1989, überzuleiten: „Ich weiß nicht, ob ich zuletzt wirklich noch gehofft habe. Aber ich habe getan, was ich konnte.“

Doch der ablaufende Prozeß sei nicht aufzuhalten gewesen, und „alle Erwartungen zu bedienen, war von mir nicht zu schaffen, das ging auch weit über meine Kräfte“.

Sie habe es durchaus als befreiend empfunden, „nicht mehr als eine Sockelfigur angehimmelt zu werden, denn eine solche Anhimmelung kann ganz schnell in Haß umschlagen“. Eine Komponente der jetzigen Enttäuschungen sei auch, daß sie sich als „ein Mensch mit Fehlverhalten“ gezeigt habe, „der auch Freunde verlor“.

Auf der Suche nach Hoffnungsträgern

Ein dunkles Kapitel in diesen Erinnerungen bildet der Ausschluß mehrerer Kollegen 1979 aus dem Berliner Bezirksverband des damaligen DDR-Schriftstellerverbandes, wogegen Christa Wolf erfolglos auftrat. Der Film zeigt ihren bitteren Rückblick auf dieses „Tribunal“, wie sie ihn auf einer Verbandstagung im turbulenten Herbst 1989 in Berlin vortrug: „Es ist damals unentschuldbares Unrecht geschehen. Es war eine der schlimmsten Versammlungen meines Lebens. Sie war von vorn bis hinten manipuliert.“ Viele der Kollegen seien damals „in Angst und unter Druck gesetzt gewesen, niemand traute sich, seine Stimme dagegen zu erheben“.

Schmähungen können ihr durchaus etwas anhaben, bekennt die Schriftstellerin, die am 18. März 62 Jahre alt geworden ist. Die Gefahr sei, so etwas zu verinnerlichen, und sie müsse sich dann sagen: „So ein Monster bist du auch wieder nicht.“ Auf die Frage, ob sie zu hoffen aufgehört habe, antwortet Christa Wolf: „In bestimmter Weise ja.“ Sie suche selbst wieder Hoffnungsträger.

„Aufgeben will ich nicht. Nur weiß ich nicht, ob mir in meinem Alter noch viel anderes übrig bleibt, als den großen Zusammenbruch zu beschreiben, den wir erlebt haben. Denn das muß ja Literatur auch wieder einmal leisten“, berichtet die Autorin. Zu den im Film von ihr gelesenen Schlüsselpassagen aus einigen ihrer Bücher gehört auch eine Stelle aus Störfall von 1987: „Wir haben die Geschenke falscher Götter angenommen. Und wir alle, jeder einzelne von uns, haben die falschen Speisen von den falschen Tellern mitgegessen.“ dpa