»Das ist ein Volksaufstand«

■ Berliner KurdInnen feiern Neujahr — und träumen von der Rückkehr/ Irakische Oppositionelle spekulieren über Saddams Ende

Berlin. Vor einem Jahr noch wäre das Neujahrsfest im kurdischen Kultur- und Hilfsverein überschattet gewesen vom Trauma des Giftgasangriffs irakischer Militärs auf kurdische Dörfer. Über 5.000 Menschen starben am 16. März 1988 bei den Bombenangriffen auf die kurdische Stadt Halabja. Als Berliner KurdInnen vor wenigen Tagen wieder Neujahr (Newroz) feierten, platzte mitten in die Feier die Nachricht von der Befreiung Mossuls, der drittgrößten Stadt des Iraks, durch kurdische Aufständische. »Die Leute sind vor Freude an die Decke gegangen«, sagt Riza Baran, Mitbegründer des Vereins.

Auch bei »Hinbun«, einer Spandauer Beratungsstelle für kurdische und türkische Frauen, werden Rückkehrträume gesponnen. Hilflos und verzweifelt saßen vor allem die kurdischen Frauen noch während des Golfkrieges vor dem Fernseher; jetzt ist die Stimmung in zum Teil überschäumenden Optimismus umgeschlagen. »Manche reden hier schon über Projekte, die sie im befreiten Kurdistan aufbauen wollen«, sagt Aso Agace, die Leiterin von Hinbun. Ab und an mischen sich in die Euphorie, letztlich auch Ausdruck jahrelangen vergeblichen Hoffens, warnende Stimmen. »Wir sind unglaublich optimistisch«, sagt Riza Baran, »aber hoffentlich kommen keine Gaseinsätze.«

Unter den irakischen Oppositionellen in Berlin ist die Stimmung ohnehin etwas gedämpfter. Während des Krieges hatten sich Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppen aufgetan. Zwar wußte man sich nach dem 17. Januar einig im Protest gegen die amerikanischen Bomben auf den Irak. Uneinigkeit herrschte allerdings darüber, ob das Engagement gegen Saddam Hussein in dieser Zeit hintangestellt werden sollte oder nicht.

Saddams Ankündigung demokratischer Reformen halten die Berliner Exilanten allesamt für ein taktisches Manöver in einer Situation, in der dem irakischen Diktator das Wasser bis zum Halse steht. Einschätzungen darüber, wie lange er sich noch an der Macht halten kann, reichen von wenigen Wochen bis zu ein paar Jahren. Und noch ist die Angst vor dem irakischen Geheimdienst so groß, daß sich die meisten nur unter Pseudonym öffentlich äußern möchten. »Saddams Ende kann ganz schnell kommen«, glaubt Kamal Al Atar (Name geändert, d. Red.) von der Vereinigung irakischer Studenten, »wenn der Aufstand sich erst einmal auf Bagdad ausdehnt.« Über eine mögliche Rückkehr in seine Heimat will er noch gar nicht so richtig nachdenken. Höchstens im Spaß rede man davon, demnächst die Koffer zu packen.

Abdullah Hussein (Name geändert), irakischer TU-Student, der seit einigen Wochen Medikamententransporte für die irakischen Kriegsopfer zu organisieren versucht, will über die zukünftigen politischen Verhältnisse in seiner Heimat auch nur spekulieren. Eine demokratische Regierung, hervorgegangen aus dem Zusammenschluß der irakischen Opposition jüngst in Beirut, »wäre die beste Alternative«. Doch er bezweifelt ebenso wie Al Atar, daß ein demokratisch regierter Irak bei den Nachbarländern auf Gegenliebe stößt. Demokratie wirke ansteckend »und dann wird es in Saudi-Arabien und Syrien unruhig. Und das paßt auch den Amerikanern nicht.«

Über die Folgen der amerikanischen Flächenbombardements, vor allem aber über das Schicksal der Angehörigen, wissen die irakischen Berliner nach wie vor nichts. Bestenfalls über Telefonate aus Syrien oder dem kurdischen Teil der Türkei sickern Informationen vor allem aus dem nördlichen Irak durch. Was die deutschen Medien betrifft, so fühlt sich Al Atar wieder in alte Zeiten versetzt. »Seit der Krieg vorbei ist, sind wir nicht mehr besonders interessant.«

Die Vereinigung irakischer Studenten will sich nun verstärkt darauf konzentrieren, die aufständischen Landsleute zu unterstützen — durch Medikamente und andere Spenden, vor allem aber durch Öffentlichkeitsarbeit in Berlin. »Den Menschen hier muß klarwerden, daß es sich im Irak nicht nur um einen Kurden- oder Schiitenaufstand handelt«, sagt Al Atar, »sondern um einen Volksaufstand.« Andrea Böhm