Zum Klassiker gemacht

Über die Peter-Weiss-Ausstellung in der (West-)Berliner Akademie der Künste  ■ Von Annette Jensen

Zu seiner ersten Ausstellung in einem Londoner Hinterhof kam niemand. „Das war gleichgültig ... Jedenfalls hatte ich meine Bilder einmal gezeigt und mir selbst bestätigt, daß ich Maler bin.“ Zu seiner Nachlaßausstellung 55 Jahre später kommen die VerehrerInnen seines Werks von weither. Fast sämtliche noch vorhandene Bilder werden in der Westberliner Akademie der Künste gezeigt — und doch wäre Peter Weiss, der 20 Jahre lang seinen künstlerischen Ausdruck an der Staffelei suchte, als Maler längst vergessen. Berühmt wurde er durch seine Dramen und vor allem durch den fast tausend Seiten starken Roman Die Ästhetik des Widerstands.

Den jungen und den alten Weiss verbindet die ständige Auseinandersetzung mit dem Verhältnis des Künstlers zu seiner Umwelt. Im Laufe seines Lebens kam er da allerdings zu sehr unterschiedlichen Schlüssen.

Peter Ulrich Weiss wurde laut Urkunde 283 am 8. November 1916 geboren. Zwei Jahre später sieht man ihn zwischen seinen Eltern stehen — den „Portalfiguren“ seines Lebens, wie er später schrieb. Auf dem Schulfoto drängen ihn die Kameraden fast von der Bank und links aus dem Bild — Momentaufnahmen einer gutbürgerlichen Kindheit, die neben Bildung vor allem Repression und Einsamkeit bedeutet hat. Bis in die 60er Jahre hinein hat sich Weiss immer wieder mit der eigenen Kindheit und erlittenen Deformationen auseinandergesetzt.

Mit der Malerei beginnt er Anfang der 30er Jahre noch in Berlin, bevor die Familie — der Vater war Jude — nach London, in die Tschechoslowakei und schließlich nach Schweden emigriert. Die Erfahrung von Entwurzelung und Isolation spiegelt sich in seinen Bildern. Das Porträt von Caspar Hauser ähnelt den zahlreichen Selbstbildnissen auffallend. Voll romantischer Zivilisationskritik bringt der knapp Zwanzigjährige das Elend der Menschen in den Straßen und Kaschemmen im Stil von Breughel und Bosch auf die Leinwand; er selbst aber steht unberührt von all dem vor der Staffelei und malt. Auf dem Bild Die Maschinen greifen die Menschheit an wirkt die behauptete Abgeschnittenheit des Künstlers von allem Profanen und Zerstörerischen fast lächerlich: In seiner zusammengestürzten Dachkammer gibt sich der Maler ganz seinem Gemälde von Baum und Mond hin, während im Nachbarraum jemand auf der Kloschüssel hockt, im Erdgeschoß eine Mädchenleiche (seine Lieblingsschwester Beatrice) in einem blutroten Zimmer liegt und auf der Straße die Menschen vor den heranwalzenden Maschinen fliehen, die schon erste Opfer zerquetscht haben.

Hermann Hesse, den Weiss auch später zweimal besucht, ist ohne Zweifel das Idol des jungen Künstlers und zu diesem Bild gibt es sogar eine Stelle im Steppenwolf, die Peter Weiss unmittelbar inspiriert hat: „Auf den Straßen jagten Automobile, zum Teil gepanzerte, und machten Jagd auf Fußgänger, überfuhren sie zu Brei, drückten sie an den Mauern der Häuser zuschanden. Ich begriff sofort: es war der Kampf zwischen Menschen und Maschinen.“ Und genau wie der nur seiner Passion als Künstler verpflichtete Maler bei Weiss ist auch der Steppenwolf ein Außerhalbstehender, ein Betrachtender. Robert Jungk charakterisierte seinen jungen Freund zu dieser Zeit als durch und durch unpolitisch — und daran änderte zunächst auch die Begegnung mit Hodann und Barth im schwedischen Exil nichts.

Peter Weiss hat in seiner 20jährigen Malerlaufbahn viel herumexperimentiert und sich stilistisch von den verschiedensten Künstlern inspirieren lassen: Breughel, Bosch, van Gogh, Munch, Cézanne, Picasso, Otto Dix, Max Ernst u.a. — zu einem eigenen Stil hat er indes nicht gefunden. Insgesamt hinkt seine symbolisch-realistische Malerei der Zeit um einiges hinterher.

„Es gehört Vermessenheit dazu, jetzt noch ein Bild herzustellen. Selbst wenn das Bild nichts anderes zeigt als einen Schrecken vorm Zerfall, so kann es doch immer noch diesen Schrecken zeigen, und indem es ihn in der Beständigkeit eines Bildes zeigt, spiegelt es eine heile Welt vor,“ schreibt Weiss 1965 und faßt damit die Zweifel an der Malerei zusammen, die ihn etwa fünfzehn Jahre zuvor gequält hatten und die schließlich zum Abschied von dieser künstlerischen Form geführt haben.“

Von dem intim und geschlossen wirkenden Raum mit den Gemälden entläßt die Ausstellung ihre BesucherInnen in einen Saal, der eher unstrukturiert und fast wie ein Durchgangszimmer zur „Ästhetik des Widerstands“ wirkt. Hinter einer Stellwand sind die von Weiss zwischen 1952 und 61 gedrehten Filme zu sehen. Immer wieder thematisiert er darin die sozialen Mißstände der skandinavischen Wohlstandsgesellschaft. Ohne Schwedischkenntnisse bleibt vieles allerdings — trotz interessanter Kameraführung mit vielen Detailstudien — unverständlich.

Zeitgleich erstellte Weiss drei Collagezyklen, die stark an Max Ernst erinnern. In den 32 Bildern von 1001 Nacht spiegeln sich sadomasochistische Phantasien wider. Auf schwarzem Hintergrund sind menschliche Körperteile zusammenmontiert; Schwerter, Spieße und Pfeile stechen ins nackte Fleisch. Eine Frau schwingt drei Schlangenkörper wie eine Peitsche über einem nackten Mann, und ein Felsbrocken hängt drohend über einem nach hinten gebogenen Kopf mit einem langen Nagel im Schlund. Auch die „destruktive Gewaltfigur“, Illustration zum autobiografischen Roman Abschied von den Eltern, zeigt eine gesichtslose „Frauenmaschine“ mit langem, wallendem Haar, metallischen, spitzen Brüsten und einem Scheidenschlund aus einer zackigen Muschel. In der literarischen Verarbeitung wird die Mutter ähnlich dargestellt: „Das Gesicht nahm mich auf und stieß mich von sich. Aus der großen, warmen Masse des Gesichts, mit den dunklen Augen, wurde plötzlich eine Wolfsfratze mit drohenden Zähnen. Aus den heißen, weißen Brüsten züngelten, wo eben noch tropfende Milchdrüsen waren, Schlangenköpfchen hervor.“ Erst durch eine Psychoanalyse in den 50er Jahren und die beiden autobiografischen Romane Abschied von den Eltern und Fluchtpunkt — beide kurz nach dem Tod seiner Eltern geschrieben — gelingt es Weiss, sich aus der Gefangenschaft seiner Familienerfahrungen zu lösen. „Im Alter von dreißig Jahren sah ich, daß ich teilhaben konnte an einem Austausch von Gedanken, der ringsherum stattfand, an kein Land gebunden.“

Im freien Raum stehen Bühnenbildmodelle von Marat/Sade, Die Ermittlung, Der Lusitanische Popanz, VietNam Diskurs, Trotzki im Exil und Hölderlin, die größtenteils von Gunilla Palmstierna-Weiss entworfen wurden. An den Querwänden sind Fotos verschiedener Inszenierungen angebracht. Worum es in den Stücken eigentlich geht und welche politischen Auseinandersetzungen dahinterstehen, wird durch die Zeittabellen nur äußerst reduziert deutlich.

Mit dem 1963 geschriebenen Theaterstück Marat/Sade stellt Peter Weiss seine „Identität in einen größeren Zusammenhang“. Hemmungsloser Individualismus auf seiten de Sades und der Standpunkt ei- ner gewaltsamen, den einzelnen ignorierenden Revolution auf seiten Marats prallen unversöhnlich aufeinander — beide Standpunkte haben ihre Berechtigung — und sind in ihrer Konsequenz fatal. In der Urfassung bleibt die Ambivalenz bestehen, ohne daß eine Lösung angeboten würde. 1965 bezieht Weiss dann Stellung: „Eine Inszenierung, in der am Ende nicht Marat als der moralische Sieger erscheint, wäre verfehlt.“ Ein halbes Jahr später bekennt er sich zum „Sozialismus als gültige Wahrheit.“ Das hat ihn allerdings nie davon abgehalten, an der DDR und UdSSR immer wieder auch heftige Kritik zu üben.

In der Ermittlung, im Gesang vom Lusitanischen Popanz und Viet Nam Diskurs schlägt die Perspektive dann auch literarisch um. Die Menschen sind Nummern, Repräsentanten ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation. Individuen kommen nicht mehr vor.

In der DDR fanden Weiss' Stücke, auch von staatlicher Seite, großen Anklang — bis er anläßlich des Leninjahres ein Stück über Trotzki schreibt und Einreiseverbot erhält. Kulturfunktionäre drängen Weiss, sich von dem Stück zu distanzieren und 1973 erklärt er dann tatsächlich, das Werk sei einseitig und idealisiere Trotzki.

Weiss fällt in ein tiefes psychisches Loch. Sein Engagement für Vietnam erschien ihm jetzt nicht mehr als tatsächliche Parteinahme, sondern als „dünne Konstruktion“, durch die „der ungelöste Versuch, Übereinstimmung mit mir selbst herzustellen, unter verantwortungsvollen Vorzeichen auf einen äußeren Konflikt übertragen“ wurde.

Im Oktober 1971 begann Peter Weiss mit der Arbeit an der Ästhetik des Widerstands. Neun Jahre hat er an den drei Bänden geschrieben. Die Ausstellung hat dem Werk den dritten und letzten Raum gewidmet. Im Gegensatz zur Mittelhalle herrscht hier wieder räumliche Enge und Geschlossenheit. Meterhohe Folien einzelner absatzloser Manuskriptseiten hängen wie Vorhänge von den Wänden. Man sieht: Peter Weiss hat äußerst sparsam korrigiert. Schwer lesbar sind hingegen die handgeschriebenen Notizbücher, die Weiss seit 1960 geführt hat und in denen er viele Rechercheergebnisse festhielt. Abbbildungen vom Pergamonaltar, Ausschnitte von Géricaults Floß der Medusa und Picassos Guernica sind als Beispiele für die in der Ästhetik des Widerstands beschriebenen Kunstwerke ausgestellt und mit Zitaten aus dem Roman zu Collagen verarbeitet.

Letztendlich löst die Akademie der Künste das — sicherlich schwierige — Problem nicht, den Roman auszustellen. Die Bedeutung des Werks im Leben von Peter Weiss bleibt unverständlich.

Die Ästhetik des Widerstands verfolgt die inneren Auseinandersetzungen in der kommunistischen Partei zur Zeit des Nationalsozialismus. Alle kritischen Fragen kommen auf den Tisch: die Verfolgung der Anarchisten im spanischen Krieg, die Moskauer Prozesse und der Hitler- Stalin-Pakt. Der Roman ist gleichsam ein Geschichtsbuch von unten: der Ich-Erzähler — einzige fiktive Person — ist ein einfaches Parteimitglied, das die Auseinandersetzungen innerhalb der KP protokolliert. Die Ästhetik des Widerstands ist nicht die Antithese zu den Bühnenstücken, so wie man die Dokumentarstücke in diesem Sinne in ihrem Verhältnis zu den autobiografischen Romanen und den Bildern verstehen kann. Vielmehr stellt Weiss in seinem Alterswerk Einzelmensch und Gesamtgesellschaft in ein dialektisches, unhierarchisches Verhältnis.

Die Witwe Gunilla Palmstierna- Weiss hat sich vor fünf Jahren entschlossen, der Westberliner Akademie der Künste den künstlerischen Nachlaß ihres Mannes zu vermachen und daran die Bedingung geknüpft, eine Ausstellung zu organisieren. Außer in West-Berlin sollte sie auch im Ostteil der Stadt und in Stockholm gezeigt werden, und damit an den drei wichtigsten Koordinatenpunkten im Leben von Weiss. Die historische Entwicklung ist über Ost-Berlin als Ausstellungsort hinweggegangen. Hat sich damit auch das politische Anliegen von Peter Weiss erledigt?

Die von Lorenz Dombois zusammen mit Gunilla Palmstierna-Weiss arrangierte Ausstellung orientiert sich an den künstlerischen Ausdrucksformen, die Peter Weiss wählte: im ersten Saal der Maler, im zweiten der Filmemacher und Dramatiker und schließlich der Romanautor. Die Proportionen orientieren sich nicht an der Bedeutsamkeit der einzelnen Werksabschnitte, sondern an dem vorgefundenen Material. Politische Brüche, insbesondere Mitte der 60er und Anfang der 70er Jahre, werden nur den KennerInnen seines Werks deutlich; die Bühnenbilder sind nicht einmal chronologisch geordnet.

Ist Peter Weiss bereits „zum Klassiker geworden“, wie Walter Jens seine Befürchtung bei der Vernisage ausdrückte. Die Ausstellung legt diese Interpretation nahe. Die erbitterten und von Peter Weiss existentiell erlebten politischen Fragen erscheinen in der Akademie der Künste als sekundär. Dabei war die Rezeption seines Werks spätestens seit seinem Bekenntnis zu den Richtlinien des Sozialismus 1965 extrem gespalten und der 1970 in Düsseldorf inszenierte Trotzki im Exil mußte nicht nur wegen protestierender StudentInnen abgebrochen werden, sondern versperrte Weiss auch für Jahre die Einreise in die DDR und damit den wichtigsten Arbeitszusammenhang zum Ostberliner Volkstheater. Fritz Raddatz wetterte 1981 nach der Veröffentlichung des dritten Bandes der Ästhetik des Widerstands: „Ich habe nichts gegen Peter Weiss, ich habe etwas gegen diesen gigantischen Prosairrtum, gegen die vertane Kraft und vergeudete (weil nicht eingesetzte) Phantasie eines großen Schriftstellers. Als unpolitisch, gar hochmütig habe ich bereits die ersten beiden Bände bezeichnet.“

Von dieser politischen Umstrittenheit aber ist in der Berliner Akademie der Künste nicht viel zu sehen. Nur zufällig findet man die Briefe in der Vitrine neben dem Bühnenbildmodell zum Trotzki-Stück, in denen Weiss die Qualen beschreibt, die er bei der Düsseldorfer Generalprobe erlebt hat. Reaktionen auf die Ästhetik des Widerstands fehlen ganz. Damit wird das Weissche Werk der politischen Diskussion entrissen und seiner nach wie vor bestehenden Brisanz beraubt.

Im radikalen Thematisieren aller Widersprüche und in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Scheitern hatte Weiss auch in der Ästhetik eine linke Perspektive weiter zu behaupten versucht. Auch wenn der Ausdruck „links“ inzwischen obsolet geworden ist, hat sich der politische Anspruch des Werkes damit nicht erledigt. Selbstkritische Reflexion über die eigene politische Vergangenheit, über blinde Flecken, Tabus und Fehleinschätzungen müssen nicht notwendig mit der Akzeptanz der Gegenwart einhergehen. Darin liegt die politische Aktualität der Ästhetik des Widerstands.

Die Ausstellung ist noch bis zum 24. April im Hanseatenweg 10 zu sehen.