„In Basra herrschte Weltuntergangsstimmung“

■ Interview mit einem der vor Basra festgenommenen Journalisten/ Gedrückte Stimmung, Kriegsmüdigkeit, Zerstörung/ Politische Diskussionen mit den Wächtern/ Revolutionsgardisten machen Saddam Hussein für den Krieg verantwortlich

Der 38jährige William Waack ist einer von achtunddreißg Journalisten, die im Südirak festgenommen wurden, als sie versuchten, nach Basra zu gelangen, um über die Aufstände zu berichten. Waack, Korrespondent der brasilianischen Zeitung 'O Estado De Sao Paulo‘ verbrachte die Zeit zwischen dem 2. Und 8. März in Gefangenschaft.

taz: Unter welchen näheren Umständen gerieten Sie in irakische Gefangenschaft?

William Waack: Wir sind am Samstag, den 2. März, von Kuwait aus in Richtung Basra gefahren. Wir waren zu viert, ich selbst, mein Fotograf, und zwei Kollegen aus Uruguay und aus Spanien. Etwa fünf Kilometer hinter der Grenze kamen wir zu einem US-Kontrollposten. Normalerweise war es für Journalisten schwer, daran vorbeizukommen. Doch an dem Tag hat es ohne Probleme geklappt. Wir wußten gar nicht, daß es der letzte amerikanische Posten war.

Erst nachdem wir etwa zehn Kilometer auf der ehemaligen, jetzt völlig zerstörten Autobahn von Kuwait nach Basra gefahren waren, merkten wir, daß wir schon auf irakisch kontrolliertem Gebiet waren. Etwa sieben Kilometer vor Basra erreichten wir die größte Brücke über den Schatt al-Arab. Dort herrschte ein totales Chaos, alles war voller zum Teil kaputter militärischer Fahrzeuge — von gepanzerten Transportfahrzeugen über Panzer bis zu schwerer Artillerie —, alles auf dem Rückzug in Richtung Norden. Es war nicht auszumachen, um was für Einheiten es sich handelte. Viele Soldaten waren nur halb uniformiert, andere bereits in Zivil. Es waren Szenen, die an Bilder einer geschlagenen Armee aus dem ersten Weltkrieg erinnerten. Die Brücke war so stark beschädigt, daß wir mit unserem Wagen gar nicht drüberfahren konnten. Wir wollten umdrehen, und dabei wurden wir festgenommen.

Von wem wurden Sie festgenommen?

Von einer Bande. Die beiden, die uns stoppten, waren nicht uniformiert, aber daneben standen sechs Soldaten, darunter ein Oberst. Das war ein ganz schlimmer Typ. Als sie uns aus dem Auto zerrten, schossen sie in die Luft, um uns einzuschüchtern. Ich habe versucht, mit dem Oberst zu verhandeln, ich dachte, wir könnten ein Deal machen, ihnen das Auto und unsere Ausrüstung lassen — allein unsere Fotoausrüstung war um die 25.000 Dollar wert. Aber es war nichts zu machen. Sie nahmen uns fast alles weg, bis auf die Geräte, mit denen sie nichts anfangen konnten, wie ein telefonisches Fotoübermittlungsgerät und meinen kleinen Computer — ich sagte, er schreibe nur auf Portugiesisch. Nach zwei Stunden brachten sie uns in ein Militärlager etwa 15 bis 20 Kilometer südlich von Basra. Dort standen verschiedene Einheiten, und unser Eindruck war, daß sie sich weder den Aufständischen noch den regierungstreuen Truppen anschließen wollten. Wir waren so eine Art Privatgefangene, sie wußten nicht, was sie mit uns tun sollten. Schließlich brachten sie zwei amerikanische Journalisten. Das wurde ihnen dann doch zu heiß und sie wollten uns ins Hauptquartier der Republikanischen Garden in Basra bringen. Sie wußten selber nicht, wo das war.

Die Soldaten brachten uns in einem gestohlenen Mercedes nach Basra. Der Hauptmann, der den Wagen steuerte, war total verrückt. Alle hundert Meter vor Basra gab es einen Kontrollposten, da fuhr er einfach durch, die Posten schossen auf uns und er verließ das Auto und versuchte zurückzuschießen. Er schrie den Posten zu: Wir könnt ihr auf mich schießen, ich gehöre doch der Armee an. Schließlich fand er das Hauptquartier der Republikanergarden — und wo war das? In der Universität. Es stimmt, was die Amerikaner sagten, daß die Iraker Kommandostrukturen in Schulen und anderen zivilen Gebäuden unterbrachten.

Haben Sie in Basra etwas von den Kämpfen mitbekommen?

Die Universität liegt nördlich der Stadt. Wir fuhren in einem Halbkreis durch die Stadt und sahen sehr viel Artillerie und Panzertätigkeit und eine unglaubliche Zerstörung. Sehr viele Häuser lagen in Trümmern, die Straßen, die Brücken, waren total zerbombt, wohin man gesehen hat, war alles zerstört. Wir sahen, wie Leute versuchten, Wasser aus den Pfützen zu schöpfen. Menschen, vor allem Frauen und Kinder standen apathisch am Straßenrand. Es war eine Weltuntergangsatmosphäre. Selbst die Soldaten waren blaß, müde und wirkten unterernährt, einige schossen in Richtung Zentrum, andere standen eimfach nur rum. Militärisch gesehen war die Stadtmitte eindeutig unter Kontrolle der Aufständischen, und die Soldaten versuchten nicht einmal, vorzurücken. Sie bombardierten nur wahllos aus Panzern und schwerer Artillerie. Diese Armee machte einen sehr schwachen, unorganisierten Eindruck auf mich. Dann kamen wir zum Hauptquartier, und dort stand ein Panzer neben dem anderen. Sie schossen vom Universitätsgelände aus in die Stadt. Das war am Montag, den 4. März.

Wie wurden Sie von den Gardisten behandelt?

Wir wurden von drei Offizieren in einem Computerraum verhört. Sie waren sehr korrekt und freundlich und boten uns Tee an. Sie wollten wissen, warum wir ohne Visum in den Irak gekommen seien, was wir über die Probleme in Basra wußten, was wir schreiben wollten, ob wir Fotos gemacht hätten.

Die Gardisten waren korrekt und freundlich

Sie betonten, daß wir keine Gefangenen, sondern Freunde seien. Wir mußten die Nacht dort verbringen. Das wenige, was es zu essen gab, haben sie uns zuerst gegeben, und wir haben es dann mit unseren Wächtern geteilt. Die Wächter waren nett und neugierig, es gab keinerleich Bedrohung oder Feindseligkeit von ihrer Seite — eher Fürsorge. Als die Kämpfe zunahmen, haben sie uns sofort ins Innere des Gebäudes gebracht, wo wir in Sicherheit waren. Am nächsten Tag stellten sie dann einen langen, schwer bewaffneten militärischen Konvoi aus über 150 Fahrzeugen zusammen — Panzern, schwere Artillerie, Flak, Lastwagen, dreißig modernen Geländewagen für die hohen Offiziere, darunter auch ein General. Wir fuhren Richtung Bagdad — durch eine apokalyptische Landschaft. Das Wetter war an diesem Dienstag sehr schlecht, es regnete, und der Wind trieb den schwarzen Rauch aus Kuwait in unsere Richtung. Alles war schlammig und grau, der Boden hatte die gleiche Farbe wie der Himmel. Es war sehr kalt, etwa 5 oder 6 Grad. Unser Auto war das einzige zivile, und wir mußten immer wieder aussteigen und den Wagen praktisch durch den Schlamm tragen.

Rechts und links lagen die Trümmer von Panzern, die die Amerikaner schon während des Luftkriegs bombardiert hatten. Man konnte genau sehen, wo die B-52-Bombenteppiche eingeschlagen waren — ganz regelmäßig wie auf einem Schachbrett. Wo die größten Krater waren, hatten sie Benzinbomben eingesetzt. Die ganze Straße war außerdem mit kleineren Löchern von Splitterbomben übersät. Einige Tote haben wir auch gesehen.

Haben Sie auf der Fahrt etwas von den Kämpfen gemerkt?

Die Soldaten hielten während der Fahrt die Maschinengewehre aus den Fenstern, und jedes Mal, wenn ein paar Häuser auftauchten, waren sie sehr nervös. Sie rechneten jeden Moment mit Heckenschützen. Dann kamen wir zu einer Pontonbrücke, einem Verkehrsknotenpunkt, und dort herrschte völliges Chaos. Ein Konvoi war nach Norden unterwegs, einer nach Süden, und beide hatten sich total ineinander verkeilt. Es ging gar nichts mehr. Am späten Nachmittag kamen wir dann weiter nach vorne und gerieten in einer Falle. Vielleicht fünf oder sechs Heckenschützen beschossen uns von einem kleinen Dorf neben der Straße aus, aus einer Distanz von vielleicht fünfzehn oder zwanzig Metern. Wir mußten uns auf der Straße auf den Boden legen, die Soldaten rechts, die Angreifenden links. Es wurde sehr viele geschossen, ohne jede Präzision, keiner wurde getroffen. Auch bei den Soldaten herrschte totales Durcheinander. Alle suchten Deckung, zwei von unseren Wächtern schützten uns, so daß wir uns zurückziehen konnten. Sie haben ihr eigenes Leben für uns riskiert. Man konnte keinerlei Befehlsgewalt erkennen.

Es war total peinlich, der ganze schwer bewaffnete Konvoi wurde von fünf Heckenschützen gestoppt. Es wurde schon dunkel, als es zwei Versuche gab, weiterzufahren. Doch der Beschuß ging weiter und deshalb blieben wir einfach an Ort und Stelle und übernachteten in den Fahrzeugen. Wenn die Schiiten nur eine Panzerfaust gehabt hätten, hätten sie ein Massaker anrichten können.

Die Schiiten hätten ein Massaker anrichten können

Am Mittwoch beschlossen unsere Begleiter, daß die Weiterfahrt zu gefährlich sei. Sie brachten uns wieder in südliche Richtung zu einer anderen Einheit der Republikanischen Garde. Das waren die besten Leute, die wir getroffen haben. Der Kommandeur war ein Veteran, der fließend Russisch sprach. Er war zwei Jahre in Alma Ata gewesen, ein sehr sympathischer Mann, die Offiziere auch. Die Gardisten sind eine Elitetruppe, alle haben eine gewisse Bildung. Es gab einen Anwalt, einen Ladenbesitzer, einen Geographielehrer, einen Arzt, einen Büroangestellten. Es herrschte eine Atmosphäre von Disziplin und Hierarchie, aber es gab keine militärische Aktivität.

Die Leute hatten wirklich nichts zu essen, der letzte Reis wurde für uns zubereitet. Sie behandelten uns wie Freunde, obwohl wir Gefangene waren. Wir haben zusammen Gesellschaftsspiele gespielt und gesungen. Sie haben von ihren Familien erzählt, wir haben über den Krieg geredet, über Saddam Hussein, über die Bombardierungen, über ihre Ängste, über soziale Probleme. Teilweise verbrachten wir Stunden mit politischen Diskussionen.

Was war Ihr Eindruck bei diesen Gesprächen?

Alle waren kriegsmüde. Sie wollen nichts mehr vom Krieg wissen. Die Invasion Kuwaits hielten sie für einen großen Fehler. Der irakische Soldat ist ein guter Kämpfer, wenn er für sein Land kämpft, aber nicht für Kuwait.

Wurde Saddam Hussein für den Krieg verantwortlich gemacht?

Ja, ganz eindeutig. Zwischen den einfachen Gardisten und den Offizieren gab es aber einen merkwürdigen Unterschied. Die einfachen Gardisten sagten, wir brauchen einen starken Präsidenten, wir lieben Saddam Hussein. Das war bei den Offizieren anders. Sie sagten, er habe zu viele Fehler gemacht, und politische Veränderungen müßten sofort kommen, gleich, ob er bleibt oder nicht. Sie sprachen auch über die verschiedenen Welten, über die Schwierigkeiten für uns, die Mentalität eines Arabers zu verstehen. Sie waren der Auffassung, daß dieser Krieg herbeigeredet wurde. Wenn im November, Dezember ein anderer Ton benutzt worden wäre, wenn Saddam eine Chance gegeben worden wäre, sich zurückzuziehen... Aber so, wie gesprochen wurde, habe es für einen Araber keinen Ausweg mehr gegeben.

Wie beurteilten die Gardisten die Aufstände?

Unsere Gesprächspartner behaupteten immer wieder, es handele sich um Iraner. Es gab viel Haß. Sie sagten: diese Schiiten, die haben mit uns nichts zu tun. Die Soldaten stammten alle aus dem Norden, aus Mossul, aus Takrit, dem Geburtsort Saddam Husseins, aus Bagdad und Umgebung. Sie schimpften sogar auf die Landschaft — sie mochten die Berge, das gute Wasser aus Mossul, nicht die Hitze oder die Schiiten, es war, ols ob sie von einem anderen Land redeten.

Sprachen sie auch über politische Veränderungen im Irak?

Sie sprachen nicht über Sieg oder Niederlage in Kuwait, sie meinten, daß Irak eine neue Chanc brauche. Die Zielsetzung müsse eine andere werden. Man brauchte nicht mehr soviel Militär, wie mir ein Hauptmann sagte. Jeder sprach über Todesfälle in seiner Einheit, über einen Freund, den er verloren hatte, meistens durch Splitterbombem. Sie waren im Norden Kuwaits stationiert und nicht direkt in die Kämpfe verwickelt. Alle, auch die jüngeren, waren schon im letzten Krieg dabei gewesen.

Am Donnerstag kamen drei Hubschrauber und brachten uns nach Bagdad. Ich kenne die Stadt, ich war im August fast vierzig Tage da. Es ist seltsam, plötzlich sind manche Gebäude nicht mehr da. Flächenmäßig gesehen war nicht viel zerstört. Aber die drei Brücken sind kaputt. Das hinterläßt einen besonderen Eindruck - eine Brücke bedeutet Verbindung, und wenn man eine Brücke im Wasser liegen sieht, dann hat das eine besondere psychologische Wirkung.

In Bagdad wurden wir auf einem Luftwaffenstützpunkt der Geheimpolizei übergeben. Das waren eiskalte Profis. Es gab keine Annäherungsversuche wie bei den Gardisten. Nachts kam ein hohes Tier, und wir flogen in einer Hubschrauberkolonne zusammen mit den anderen Journalisten, von denen wir bis zu diesem Zeitpunkt nichts wußten, zu einem weiteren Stützpunkt. Dort waren wir dann alle zusammen, achtunddreißig Journalisten und zwei amerikanische Kriegsgefangene. Schließlich wurden wir in einem Bus nach einer zweistündigen Irrfahrt durch die Stadt in ein kleines Hotel am Tigris gebracht. Jeder wurde bis zum nächsten Mittag in ein Zimmer eingeschlossen. Dann gab es neue Verhöre. Am Freitag nachmittag änderte sich plötzlich alles. Es gab ein typisch irakisches Abschiedsessen, eine Fleischsuppe mit Reis — die Leute vom Geheimdienst haben sehr gut gekocht. Am Samstag sind wir dann ohne Zwischenfälle in Bussen von Bagdad zur jordanischen Grenze gebracht worden. Das schönste war die Solidarität der Kollegen, als wir in Amman ankamen. Interview: Beate Seel