VietnamesInnen flüchteten aus Sachsen zurück

■ “Nahezu tierische Behandlung“ / Schon 733 Bremer Flüchtlinge nach Sachsen umverteilt

Die deutsche Einheit hat für Flüchtlinge in Bremen bittere Konsequenzen. Allein in das unvorbereitete Bundesland Sachsen wurden seit dem 10. Dezember 733 AsylbewerberInnen aus Bremen zwangsverteilt. Aber nicht alle Asylsuchenden traten die Reise von Bremen nach Osten an. Thomas Poerschke vom Flüchtlingsbüro des Arbeiter-Samariter-Bundes: „Wir wissen, daß einige Leute, die die Aufforderung erhalten haben, gar nicht erst nach Chemnitz hingereist sind und sich vermutlich noch in Bremen aufhalten.“

Andere AsylbewerberInnen traten zwar die Fahrt nach Chemnitz an, flohen angesichts der Ausländerfeindlichkeit, die ihnen in der Ex-DDR entgegeschlug, wieder zurück nach Bremen. Gestern wurde der Fall von sechs VietnamesInnen publik. Sie hatten bis Ende 1990 in der Tschechoslowakei gearbeitet und sollten von dort als unerwünschte Arbeitskräfte nach Vietnam zurückgesandt werden. Die sechs baten daraufhin in der Bundesrepublik um politisches Asyl. Pham-Cong Hoang, Vorsitzender der „Organisation für die Angelegenheiten der Vietnam-Flüchtlinge in der Bundesrepublik“ gestern zur taz: „Die sechs sind echte politische Flüchtlinge. Denn in Vietnam werden die Grundrechte mit Füßen getreten.“

Am 13. Dezember kamen die sechs VietnamesInnen in Bremen an. Das Bundesamt in Zirndorf entschied, daß die sechs bis zum Gerichtsentscheid über ihr Asylrecht in Sachsen zu leben hätten. Vergangene Woche, am 13. März, traten die sechs deshalb ihre Zwangsreise nach Sachsen an. Der Bundesvorsitzende der Flüchtlingsorganisation begleitete sie. In einem Reisebericht beschrieb er eindrücklich die Schickanen, denen seine Landsleute ausgesetzt waren: „Die sechs Vietnamesen wurden von Chemnitz nach Altenberg/Sachsen zu einer Unterkunft gebracht, wo schon zwei Vietnamesen waren. Diese zwei teilten den Neuankömmlingen mit, daß sie unbedingt im Bus bleiben sollten. Sie wollten sich selbst als Opfer der schlechten, nahezu tierischen Behandlung allein hingeben. Sie erhielten nicht satt zu essen. Fragen durften überhaupt nicht gestellt werden. Die sechs wurden von den offiziellen Betreuern weggeschickt und mit deutlicher Verachtung belegt. (...) Auf dem Rückweg in die Stadt Chemnitz versuchten die angekommenen Vietnamesen bei Bewohnern der Stadt nachzufragen, wo die Post und andere Einrichtungen seien. Die Antworten waren beleidigend, drohend und diskriminierend. Die Worte 'hau ab' blieben den Vietnamesen nachhaltig in Erinnerung. In Chemnitz wieder angekommen, überließen die Behörden die sechs einfach ihrem Schicksal. (...) Nach dem Verkauf von ein paar letzten Kleinigkeiten persönlicher Schmuckstücke schafften es vier Vietnamesen zu einer buddhistischen Pagode nach Berlin zu gelangen. Die zwei anderen versteckten sich im Zug und erreichten wieder Bremen.“

Inzwischen leben alle sechs VietnamesInnen, darunter eine hochschwangere Frau, wieder in Bremen, illegal und ohne Recht auf Sozialhilfe. Der Vorsitzende ihrer Flüchtlingsorganisation will sich heute vormittag im Ausländeramt dafür einsetzen, daß die sechs in Bremen bleiben dürfen.

In Hessen hatten sich in der Gemeinschaftsunterkunft Schwalbach bereits letzte Woche achtzig AsylbewerberInnen eingefunden, die aus verschiedenen ostdeutschen Lagern geflohen waren. Das hessische Sozialministerium hatte daraufhin entschieden, daß diese Flüchtlinge in Hessen bleiben durften. Der Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg, Willi Polte, forderte jedoch, die Zuweisung von Asylbewerbern in die neuen Bundesländer völlig auszusetzen. Die Betreuung der Flüchtlinge sei nicht gewährleistet.

Marita Wessel-Niepel erklärte gestern für den Bremer Innensenator Peter Sakuth: „Wir wissen, daß die Situation in den neuen Bundesländern äußerst schwierig ist. Aber das muß vor Ort gebessert werden. In Einzelfällen wird geprüft, ob es Gründe geben kann, die gegen eine Zuweisung in ein anderes Bundesland sprechen. Aber es gibt keine generelle Ausnahme.“

Barbara Debus